Säulen im Dialog

Ab jetzt nur noch Zeitlupe: Die vielseitige Videokunst-Ausstellung „Screen Spirit“ in der Städtischen Galerie funktioniert als perfekter Entschleuniger

Ein leuchtender Fliederbusch, mitten im Wohnzimmer. Sitzfläche, Arm- und Rückenlehnen von Yvonne Oerlemanns „TV-chair“ sind Fernsehbildschirme, auf denen die bunte Blütenpracht flimmert. Wobei der „TV-Chair“ dasteht inmitten echter Sitzmöbel. Moment mal: Wohnzimmer, Fernsehsessel als Zeichen träger Gemütlichkeit. Muss Kunst von heute denn nicht unbequem sein?

„Nein“ sagt Marikke Heinz-Hoek, Bremer Künstlerin und Kuratorin der Ausstellung „Screen Spirit“. Um dem Nachdruck zu verleihen hat sie im Vorraum der Ausstellung in der Städtischen Galerie eine urgemütliche Lounge eingerichtet: Ausladende Sofas und behagliche Ohrensessel unterwandern in der kleineren Halle bravourös und trotzig die antiseptische Leere, die Videokunst-Schauen oft durchzieht.

Neben dem „TV-Chair“ laufen hier etwa 40 Kunstfilme. Zugegeben: Inhaltlich geht es vereinzelt wenig anheimelnd zu, klaustrophobe Beklemmung macht sich bei Jan Verbeeks Draufsicht aufs brachiale Gequetsche in einer übervollen Tokioter U-Bahn breit. Doch auch im Hauptteil der Ausstellung, der abgedunkelten, großen Halle mit 25 aufwändigeren Installationen, herrscht eine entspannte, angenehm ruhige Atomosphäre.

Kunstbetrachtung wird bei „Screen Spirit“ zum meditativen Akt. So bei Bill Viola, dem Guru spiritueller Videokunst und seit über 20 Jahren Pionier im künstlerischen Einsatz von neusten Techniken. Sein großformatiger „First Dream“ lädt in satten 53 Minuten auf traumwandlerische Landschaftsreisen in Zeitlupe ein. An einer Stelle durchstreift sein Blick einen Bambuswald, die grünen Pflanzenstäbe treten so in einem flüchtigen Moment, wie er dem Medium Film denn doch eigen ist, mit den massiven Säulen der Galerie in Dialog.

Wobei der dominante Raum der Städtischen Galerie der Wirkung der Arbeiten keinen Abbruch tut – eines der vielen Zeichen für die ästhetische Sicherheit mit der Heinz-Hoek die so unterschiedlichen Werke von Künstlern aus Europa, Asien und den USA aus zwei Jahrzehnten in ihrer ersten kuratorischen Arbeit arrangierte.

Einer strikten Dramaturgie wollte sie dabei nicht folgen, ebenso wenig moralinsauren Belehrungston auflegen, also sprechen die einzelnen Positionen für sich – wenn sie sich auch wie zufällig übergeordneten Themenkomplexen einfügen: Sinn und Unsinn menschlichen Handelns werden entlarvt wenn die sisyphushafte Schwimmerin im Video unaufhörlich paddelt ohne auch nur einen Meter von der Stelle zu kommen. Und auch mit den geschniegelten Jung-Managern in „Response #1“ stimmt etwas nicht: Wie Eisblöcke erstarrt lassen einzig ihre Lidschläge und absurden Handhaltungen vermuten, dass es sich hier um eine gestellte Situation und kein Meeting handelt.

Viele der Videoskulpturen der Ausstellung flirten als Grenzgänger mit anderen Medien wie Literatur, Malerei oder Performance. Als wären das noch nicht genügend Fundstücke der Geistersuche begibt sich eine handvoll Objekte im hinteren Teil des abgedunkelten Raumes zurück zur Natur. “Hippo“, das behäbige Nilpferd, das auf einen Haufen aus Quarzsand projiziert wird und so direkt aus dem Boden der Galerie wie aus einem Tümpel aufzutauchen scheint, beansprucht seine Seele jenseits des Flachbildschirms, der Geist im Künstlervideo kommt vielgestaltig daher.

Nach zwei kontemplativen Stunden, die man in diesem „Entschleuniger“ locker verbringen kann, bekommt der „Blumen-Sessel“ vom Anfang eine andere Bedeutungsebene: Zum Abschied scheinen einem die mit der Kamera konservierten Pflanzen zuzuraunen: „Jetzt aber Glotze aus und „echte“ Welt anschauen!“ Na gut. Aber bitte in Zeitlupe. Roland Rödermund

bis 9. Januar in der Städtischen Galerie. Öffnungszeiten: Di-Sa 12-18 Uhr, So 11-18 Uhr. Informationen über Vorträge und Führungen unter ☎ 361 58 26