Nur noch originale Textteile

Öffentliches Fluchen verboten: Mit Hilfe des Urheberrechts wird die Dresdner Aufführung der „Weber“ von Gerhart Hauptmann ausgehebelt

Die Überlebenschancen von Sabine Christiansen sind seit Mittwoch enorm gestiegen. Kein gefährlicher Bürgerchor darf mehr von der Bühne des Dresdner Staatsschauspiels giften: „Wen ich sehr schnell erschießen würde, das wäre Frau Christiansen …“ Erreicht hat sie das aber nicht über die versuchte einstweilige Verfügung am Dresdner Landgericht. Man könne statt der Namensnennung doch eine allgemeine Formulierung wählen, hatte ihr Anwalt Christian Schertz noch ganz im Ernst vorgeschlagen. Das Staatsschauspiel ging auf das Vergleichsangebot jedoch nicht ein und folgte der Linie von Intendant Holk Freytag: „Die Fassung von Regisseur Volker Lösch oder gar nicht!“

Nun also vorerst gar nicht, und wie es dazu kam, verblüffte am Mittwoch sogar Anwalt Schertz. Eben wollten die Kontrahenten sich mit der Richterin für einen Theaterbesuch verabreden, um die Brisanz des Bühnenworts live beurteilen zu können. Da erhob sich unter den Zuhörern im Saal des Landgerichts ein Anwalt namens Cornelis Lehment, erklärte, dass die Donnerstagsaufführung gar nicht stattfinden könne, und verteilte Pressemitteilungen. Der Berliner Verlag Felix Bloch Erben als Inhaber der Bühnenrechte habe beim Berliner Landgericht eine einstweilige Verfügung erwirkt. Aus der Dresdner Bühnenfassung von Hauptmanns „Die Weber“ dürfen nur noch die originalen Textteile gespielt werden.

Das bedeutet den Tod der Inszenierung. Denn die lebt gerade von den eindringlichen Sprechchören der 33 Dresdner Bürger als die Weber von heute, deren Problem die Arbeitslosigkeit ist. Es beginnt mit einer Art Massenprostitution auf dem Arbeitsmarkt, steigert sich zu Verbalattacken unter anderem gegen Schröder, Milbradt und Christiansen bis hin zu physischer Gewalt gegen das Goldene Daimler-Kalb des Hauptmann-Original-Fabrikanten Dreissiger. Am Ende stehen auswegsuchende Träume zwischen rührender Anarchie und faschistoidem Durchgriff.

Die 33 haben ihre Texte selbst geschrieben und kontrovers diskutiert. Die Erweiterung war mit dem Verlag abgesprochen, versichert Dramaturg Stefan Schnabel eidesstattlich. „Sie können das so machen“, hieß es im Juni.

Über die Motive des Verlags wird weiter spekuliert. Die behaupteten Schmerzen über die verletzte „Werkintegrität“ dürften einen so rigorosen Eingriff kaum gerechtfertigt haben. Intendant Freytag spricht vage von „Druck“. Was er laut nicht sagen darf, flüstern seine Schauspielkollegen: Der lange Arm der Fernsehmoderatorin stecke dahinter. Dass es letztlich nur um die republikweit ausposaunten Textpassagen und weniger um Werktreue und eine neue Spitze gegen das Regietheater geht, zeigt die von Anwalt Lehment angedeutete Verhandlungsbereitschaft über die Textfassung. Holk Freytag will darauf nur eingehen, „wenn es nicht gelingt, den Blick endlich wieder weg von den sechs Sätzen auf die Gesamtinszenierung zu lenken“.

Und die haben die kassenstürmenden Theaterbesucher in Dresden im Gegensatz zu Frau Christiansen und ihrem Bündnispartner Bild-Zeitung offenbar verstanden. Ein anderes Format zeigte Sachsens „Regierungsvorsteher“ Georg Milbradt, der Titel wie „blöde Sau“ und „dämliche Quadderschnauze“ einfach ignorierte. Ebenso das „Schröderschwein“. Auch die Dresdner Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen wegen Volksverhetzung inzwischen eingestellt. Donnerstagabend gab’s statt Vorstellung erst einmal nur Video-Ersatz mit Diskussion, bevor in der Hauptsache verhandelt werden kann. Der Weber-Chor, eine runde Mischung aus schlichtem Volk und Kopfarbeitern, nimmt das vorläufige Verbot grimmig-gefasst: „Wir werden wieder spielen!“

MICHAEL BARTSCH