Münte lässt Nikolaus ausfallen

SPD-Fraktionschef Franz Müntefering schenkt den Genossen in Recklinghausen am Nikolaustag nichts. Trotz Adventszeit hatten die Kritiker der Regierungspolitik keine Chance

VON MARTIN TEIGELER

Als Franz Müntefering nach einer Stunde Redezeit auf das Thema Atomkraft in China zu sprechen kam, nagten einige Genossen schon an ihren Schokoladen-Nikoläusen. Den Beitrag des SPD-Fraktionsvorsitzenden zum Koalitionsstreit um den Export der Hanauer Brennelemente-Fabrik vernahmen die Sozialdemokraten in Recklinghausen eher uninteressiert. „Wir liefern Kraftwerke, die sicher sind“, sagte Müntefering. Auch wenn Deutschland aus der Atomenergie aussteige, müsse man Kerntechnik exportieren. „Sonst geht der Stern hopps“, fürchtet der Chef der SPD-Bundestagsfraktion eine nukleare Katastrophe auf der Erde. Das Atombeispiel zeigt: Franz Müntefering hat seinen Parteifreunden am Samstag im Recklinghäuser Kreistag nichts geschenkt. Obwohl Nikolaus war, verkündete der Sauerländer die ungemütliche Parteilinie.

Milde Schoko-Gaben verteilte in Recklinghausen nur ein angemieteter Nikolaus vor der Eingangstür. Unter dem Motto „Fraktion in der Region“ tingelt Müntefering derzeit durchs Land. Agenda 2010, Steuerreform, Gesundheitspolitik, alles will der Fraktionschef den verunsicherten Genossen erklären, damit es wieder aufwärts geht mit der Sozialdemokratie. Im Recklinghäuser Kreishaus hatten sich am Nikolaustag knapp 100 meist ältere SPDler aus dem westlichen Westfalen eingefunden. „Die Menschheit muss einen guten Weg gehen“, machte Müntefering sofort das ganz große Faß auf, erinnerte an den Heidelberger SPD-Parteitag von 1925, gemahnte an die internationalistischen Werte der Partei. Die Reformpolitik der Regierung sei die einzig sinnvolle Antwort auf die Globalisierung, da man von einer Weltregierung leider noch weit entfernt sei. „Wohlstand halten, dauerhaft. Soziale Gerechtigkeit halten, dauerhaft“, so die Parole des Meisters der kurzen Sätze für die Genossen in Recklinghausen. Einmal in Fahrt sprach der Ex-Generalsekretär weiter von notwendigen Einschnitten. Meist hielt sich Müntefering dabei am Rednerpult fest, nur manchmal erhob er den Zeigefinger oder formte mit den Händen kleine Kugeln aus Luft.

Die Kritiker der Regierungspolitik kamen nur kurz zu Wort. Genossin Sigrid Krynen aus Recklinghausen meinte: „Die Leute sind ja bereit zu Kürzungen. Aber die Politiker müssen bei ihren Diäten auch was zusammenstreichen.“ Müntefering kennt diese Fragen. Routiniert ratterte er seine Verteidigungslinie herunter. Die Abgeordnetenbezüge würden in diesem Jahr nicht erhöht, die Volksvertreter machten mit beim Sparen. „Das Sterbegeld haben wir auch bei den Bundestagsabgeordneten gestrichen“, sagte Müntefering.

Klemens Wittebur, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Gelsenkirchen Buer-Mitte, attackierte Müntefering von links. „Nach 16 Jahren Kohl-Regierung hätten wir auch Umverteilung machen müssen, und zwar von oben nach unten“, kritisierte Wittebur. Auch Reiche sollten in die Krankenversicherung einzahlen, Millionären zahlten zu wenig Steuern. Wittebur redete sich in Rage. Der grauhaarige Mann mit dem Holzfällerhemd forderte von Müntefering Antworten. Am Nikolaustag. In Recklinghausen. „Die mittleren Einkommen sind schon genug belastet“, wehrte Müntefering ab, ohne den Genossen Wittebur dabei auch nur anzuschauen. „Wir können die Steuern nicht erhöhen, sonst hauen die Unternehmer ab“, sagte Müntefering in schneidendem Tonfall. Basta, hätte der Kanzler wohl noch hinzugefügt. Doch Müntefering musste nichts mehr sagen, Fragesteller Wittebur war ohnehin bedient. Mit verschränkten Armen saß er da und schüttelte den Kopf. Der Rest der Genossenschaft klatschte artig, Franz Müntefering genoss die Ovationen.