fußpflege unter der grasnarbe
: Findet Ilhan

Es war die erste Fußball-Saison meines Lebens. Damals mit sechs Jahren in der F-Jugend des FC Union Ulzburg. Wie ich es hasste, gemeinsam mit Ilhan Turhan in einer Mannschaft zu spielen. Vor dem Tor hackte er sich lieber beide Hände ab, als dass er mir – der frei vor dem Tor stand – den Ball abgab. Selbst wenn ich mir beim Winken fast den Arm auskugelte und mein „Hier, hier, hier!“ ins Hysterische abglitt, spielte er nicht ab. Denn meistens traf er auch, und so dauerte es nicht lange, dass er unser Torjäger war. Niemand fummelte so gut wie Illi. Keiner war so quirlig am Ball und so schnell. Alle Gegner fürchteten den Türken im FCU-Sturm. Und alle nannten ihn nur noch „Torhan“.

Wie ich erst nach einigen Spielen erfuhr, hatte sein Vater ihm für jedes Tor, das er schießen sollte, fünf Mark versprochen – was auf dem Platz an und für sich nicht zu überhören war: „Ilhan, nicht abgeben. Mach allein, kriegst fünf Mark!“ Gegen den TSV Wiemersdorf gewannen wir in jenem Jahr 17:1. Ilhan schoss 16 Tore. Natürlich wurden wir unangefochten Kreismeister, und als Ilhan am Saisonende weit über 70-mal getroffen hatte, hörte man seinen Vater auch nicht mehr ganz so laut rufen. In der A-Jugend von Eintracht Segeberg trennten sich schließlich nach fast zwölf Jahren unsere Wege. Oft habe ich mich seither gefragt, was wohl aus ihm geworden ist.

Am Samstag machte ich mich auf die Suche. Im Internet gab ich „Ilhan Turhan“ in eine der Suchmaschinen ein. 2670 Treffer. So viele Tore hat er in seinem Leben sicher erzielt, dachte ich. Einer der gefundenen Links brachte mich auf die Seite des Akademischen Instituts für forensische Wissenschaften in Istanbul. Ilhan Turhan wurde dort als Gerichtsmediziner genannt. Konnte das Illi Torhan sein? Ein anderer Eintrag zeigte den Terrorreport der Türkei von 1980 bis 2000. Ilhan Turhan hatte fast elf Jahre in einem Gefängnis in Ankara gesessen. Ilhan ein Terrorist? Ein drittes Ergebnis führte mich in die „Türkei Superliga Saison 2001/2002“. Sollte er es tatsächlich geschafft haben?

Schließlich erweiterte ich die Suche um ein einfaches, wie ich aber fand, passendes Wort: „Tore“. 20 Treffer. Der Erste: „Turhan markierte kurz nach dem Pausentee den Anschlusstreffer.“ Der Nächste: „Das Tor des Tages schoss Ilhan Turhan.“ Und ein Weiterer: „Turhan Torjäger des WSV Tangstedt.“ Er spielt noch immer nicht ab, dachte ich. Ich stellte mir vor, wie seine Mitspieler sich beim Winken ihre Arme auskugelten und vom Rufen schon ganz heiser waren. Als ich weiter las, erfuhr ich, dass er im Sommer den Verein wegen „permanenter muskulärer Probleme und der weiten Fahrt zu seinem Wohnort“ verlassen hatte. Wo er nun wohnt, stand dort nicht. Auch wenn die Chance gering ist, dass er heute die taz liest: Illi, meld dich mal. Und danke, ohne dich wäre ich wohl niemals Kreismeister geworden.