Sie küssten und sie schlugen sich

Ein Flirt, als Streit getarnt: Die demonstrierenden Studenten bewahren die PDS auf ihrem Parteitag vor dem Tod durch Langeweile, dafür hören sich die Genossen dann auch den stärksten Tobak an

VON ROBIN ALEXANDER

Der Höhepunkt war Sonnabend, 17 Uhr erreicht: Thomas Flierl, Kunsthistoriker, Philosoph, Rollkragenpulloverträger und Senator für Wissenschaft und Kultur, wird auf dem PDS-Parteitag zum Faschisten erklärt: „Das Studienkontenmodell von Flierl geht auf eine Idee von Milton Friedman zurück. Dessen Schüler haben in Chile den ersten neoliberalen Musterstaat gegründet. Wollen Sie dieses Modell als nächstes ideologisch unterfüttern?“, ruft die 24-jährige Daniela Teodorescu, eine Gastrednerin der demonstrierenden Studenten, in den Saal, und erst da haben die Genossen die Faxen richtig dicke.

„Obszön“ sei es, schreit nun seinerseits der Hochschulexperte Benjamin Hoff, „Thomas Flierl vorzuwerfen, er betreibe Pinochet-Politik“. Hoff – der selbst noch aussieht wie ein Student und ein erklärter Gegner von Flierls Studienkontenmodell ist – rettet einen Parteitag, der für Momente ins Chaos abzugleiten droht. Draußen vor dem abgesperrten Maritim-Hotel stemmen sich Trauben von Studenten gegen Polizeiketten, die gut dreißig als Delegation eingelassenen Studenten fallen übereinander, als sie an die Saalfenster drängen. Eine unübersichtliche Situation, aber der Ruf „Draußen werden Studenten von der Polizei verhauen!“ ist eine Fehlinformation. Ruhe kehrt ein, und Hoff, nun mit Megafon auf der Straße, erklärt den Studenten, dass sie einen Anmelder für ihre Demo vor dem Hotel finden müssen: Von den 15.000, die Unter den Linden demonstrierten, waren einige hundert zum Parteitag abgebogen.

Die Studenten und die PDS pflegen in diesem Herbst eine seltsame Beziehung: Geradezu stolz erzählen der Bundesvorsitzende Lothar Bisky und der Landesvorsitzende Stefan Liebich von der Besetzung ihrer Parteizentrale: Vier Besatzer seien gleich eingetreten in die PDS. Nicht die Grünen, sondern die ehemaligen Staatssozialisten sind die Adresse für den studentischen Protest. Sonst ist im zweiten Jahr Rot-Rot nicht viel los im Berliner Landesverband. Die Regierungsbefürworter befürworten die rot-rote Regierung. Die Kritiker kritisieren sie. Beide tun das eher mit prinzipiellen als mit konkreten Argumenten. Nur der Abgeordnete Michael Nelken ringt um Erkenntnis: Obwohl er das Senatsbündnis befürwortet, konstatiert er einen „massiven Ansehensverlust“. Die viel verwandten Argumente, man verhindere Schlimmeres, seien schädlich: „Das immunisiert gegen Kritik, das lähmt!“

Die einzige inhaltliche Kontroverse hat wieder mit Studenten zu tun: Bis tief in die radikal realpolitischen Reihen haben sich Zweifel an Flierls Studienkontenmodell gefressen. Aber erst im Frühjahr will die PDS darüber entscheiden und bis dahin „ergebnisoffen diskutieren“. Schon jetzt sind freilich 10 Millionen Euro Gebühreneinnahmen im Haushalt 2005 eingeplant.

Der 30-jährige Stefan Liebich wird mit 72 Prozent wiedergewählt, seine neu gewählte Stellvertreter Klaus Lederer und Halina Wawzyniak bekommen noch bessere Ergebnisse und sind noch jünger. Wäre nicht die als Stellvertreterin bestätigte Annegret Gabelin (Jahrgang 1958), hätte die PDS-Führung den Altersdurchschnitt der gegen sie demonstrierenden Studenten glatt unterboten.

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