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: Melissengeist zum Anschauen: In der Liga regiert Mittelmaß, Gott sei Dank

In Berlin wollen sie keinen Berliner als Chefcoach, sondern unbedingt einen Weltmann. Oder das, was sie dafür halten, einen Isländer beispielsweise

In der Fußball-Bundesliga regiert das Mittelmaß, Gott sei Dank, denn sonst würde nichts und niemand herrschen in diesen Tagen. Von den Klubs am Anfang und am Ende der Tabelle ist derzeit nichts Entscheidendes zu erwarten: Die Oberen wollen bloß nicht verlieren, die Unteren können einfach nicht gewinnen, so häufen sich die Unentschieden. Spitzenspiele, Abstiegsduelle – die Partien jedenfalls, die früher aufgrund der Tabellenkonstellation für Herzklopfen sorgten, sind momentan so etwas wie Klosterfrau Melissengeist zum Anschauen: Sie führen zu extremer Ausgeglichenheit und beruhigen bis zum Einschlafen.

Will das wer? Wer gute Unterhaltung will, muss dorthin, wo Mannschaften aus dem Mittelfeld aufeinander treffen, zum Beispiel der TSV 1860 München und Hansa Rostock. Der verschmähte Löwe Martin Max hat es sich nicht nehmen lassen, beim 4:1 gegen seinen einstigen Verein zwei Tore selbst zu schießen, eins vorzubereiten und anschließend die Muskeln spielen zu lassen, womit er den 1860-Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser sichtlich quälte. Auch bei Rostocks Trainer Juri Schlünz führte das Ergebnis zu außergewöhnlichen Emotionen: Er lächelte.

Der einst ewige Interimscoach hat es nach seiner Festanstellung geschafft, viermal hintereinander zu gewinnen, was als Vereinsrekord in die Klubgeschichte eingeht und den Verantwortlichen bei Hertha BSC Berlin vielleicht zu denken gibt (es aber wahrscheinlich doch nicht tut): Dort haben sie Andreas Thom zum zweiten Mal übergangsweise auf die Trainerbank gesetzt, und der hat schon bei seinem ersten Einsatz an der Seite von Falko Götz eine bessere Bilanz vorgelegt als Nachfolger und Vorgänger Huub Stevens. Thoms Manko: Er ist Berliner, und in Berlin wollen sie als Chefcoach einen Weltmann oder das, was sie dafür halten, einen Isländer beispielsweise.

Was nicht heißen soll, dass die Kleinmächte des Fußballs keine geeigneten Akteure hervorbrächten. Der SC Freiburg findet ja immer welche, selbst im Libanon. Von dort kommt (über den Umweg HSV) Roda Antar, der bei seinem ersten Einsatz drei Tore beitrug zum 4:2 über Bochum. Auch dieses muntere Spielchen war im Übrigen eine Begegnung zweier Mannschaften aus der neuen Mitte der Tabelle. So gesehen wissen die Fans natürlich, dass das interessanteste Spiel des kommenden Wochenendes nicht zwischen Bayern München und dem VfB Stuttgart ausgetragen wird oder zwischen Bayer Leverkusen und Werder Bremen, den vier führenden Teams, sondern: zwischen dem VfL Wolfsburg und Hannover 96. Siebter gegen Neunter, unterhaltsamer geht’s nicht. JOACHIM MÖLTER