Herzstück von Weltklasse

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft der Frauen liegt bei der WM auf Olympiakurs. Daran hat Rückraumspielerin Grit Jurack vom HC Leipzig nicht nur wegen ihrer bisher 19 Tore maßgeblich Anteil

VON FRANK KETTERER

Natürlich hat es ein Sträußchen Blumen gegeben, den ein oder anderen Händedruck und ein paar warme Worte obendrein, schließlich wollen 150 Spiele für Deutschland ausreichend gewürdigt sein. Grit Jurack hat die Gratulationen am Samstag freundlich hingenommen, dazu nett gelächelt – und gesagt: „Im Vordergrund steht die Mannschaft. Da ist es mir total egal, wie viele Spiele ich habe. Wir müssen die Qualifikation für die Olympischen Spiele schaffen, damit aus den 150 noch einige Spiele mehr werden.“

Um Missverständnissen vorzubeugen: Grit Jurack hat das nicht böse gemeint – und selbstredend hat sie sich über die Ehrung auch gefreut, schon wegen der mit drei Brillanten besetzten Brosche, die ihr der Deutsche Handball Bund (DHB) als Anerkennung zudem vermacht hat. Aber Job ist nun mal Job, und der steht derzeit im Vordergrund. Der Job von Grit Jurack und der deutschen Handball-Nationalmannschaft der Frauen bei der WM in Kroatien heißt: Platz fünf, mindestens, dann wären sie tatsächlich mit dabei nächsten Sommer in Athen.

Bisher ist es ein ziemlich guter Job, den die deutschen Frauen in Kroatien machen. Gleich zum Auftakt haben sie Olympiasieger und Europameister Dänemark ein 20:20 abgetrotzt, danach den Olympiazweiten Ungarn auf imponierende Weise mit 30:27 geschlagen, schließlich auch die Pflichtaufgaben gegen China (30:28) sowie die Elfenbeinküste (36:17) souverän erledigt. Schon vor der letzten Vorrundenpartie gegen die Slowakei (bei Redaktionsschluss nicht beendet) hatten die deutschen Handballerinnen damit ihr erstes Zwischenziel, das Mitwirken in der Hauptrunde, erreicht. Mehr noch: „In dieser Form gehört Deutschland zu den Favoriten auf den Titel“, hat Sloweniens Trainerin Marta Bon die bisherigen Auftritte zusammengefasst.

Ekke Hoffmann, der Bundestrainer, kann nur schmunzeln, wenn ihm solche Sätze zu Ohren kommen. Der Knurrer aus Bad Urach tut bestimmt viel für die deutschen Handball-Frauen, an den Titel aber denkt er gewiss nicht. Hoffmann, 59 Jahre alt und nun schon zum dritten Mal Trainer der DHB-Auswahl, taugt nicht zum Phantasten, er entstammt eher der Kategorie Realist. Und er weiß, woher der deutsche Frauen-Handball kommt: von ziemlich weit unten. Die WM 2001 fand ohne DHB-Beteiligung statt, ebenso die Olympischen Spiele in Athen; bei der EM letztes Jahr endete die deutsche Auswahl auf Rang elf. Vor der WM hat Realist Hoffmann deshalb gesagt: „Wir müssen realistisch bleiben. Die Chance, unser Ziel zu erreichen, liegt bei unter 50 Prozent.“ Nun, nach den überraschend guten Vorrundenergebnissen sagt er: „Jetzt haben wir nur noch Endspiele vor uns.“ Aller Voraussicht nach werden die in der Hauptrunde gegen Norwegen, Rumänien und die Ukraine stattfinden.

Das sind allesamt harte Brocken, einerseits. Andererseits: Härter als die Auftaktgegner Dänemark und Ungarn sind sie auch nicht. „Wir haben oft genug bewiesen, dass wir eine richtig starke Mannschaft sind. Wir brauchen uns nicht zu verstecken“, sagt Susanne Henze vom Buxtehuder SV – und es klingt erstaunlich selbstbewusst. „Viele haben uns unterschätzt“, fügt Grit Jurack an und findet: „Wir können jetzt ganz locker aufspielen.“ Und auch Hoffmann schöpft aus dem bisher Gebotenen Hoffnung für die unmittelbare Zukunft. „Mich freut, dass die Mannschaft ihre spielerische Linie gehabt hat. Einsatz, Kampfgeist, Power-Handball und das Ackern in der Abwehr hat sie ohnehin durchgehend gezeigt.“

Wesentlich zugute kommt der spielerischen Linie im deutschen Team, dass Hoffmann auf Blockbildung setzt, vor allem der HC Leipzig ist mit fünf Spielerinnen stark vertreten. Und wie im Verein bildet auch in der Nationalmannschaft Grit Jurack das Herzstück im Rückraum. Die 26-Jährige ist die derzeit wohl einzige deutsche Spielerin von wirklicher Weltklasse, in Kroatien hat sie das bisher nicht nur durch ihre 19 Tore in den ersten vier Spielen gezeigt.

Für Hoffmann ist es also ein ziemlicher Glücksfall, dass die Leipzigerin wieder mitwirken kann im Nationalteam, ganz selbstverständlich ist es nicht. Im September 2002 hatte es Jurack, damals noch in Diensten des dänischen Spitzenklubs Ikast Bording, die Kreuzbänder im linken Knie zerfetzt. Sie musste operiert werden, eine mehrmonatige Pause einlegen. Erst seit März wirft sie wieder Handbälle, die WM ist nun ihr Comeback im Nationalteam.

„Ich bin erst wieder auf dem Weg zu der Form, die ich im Sommer 2002 hatte“, sagt die 26-Jährige. Der deutschen Mannschaft beschert das für den Rest der WM einigermaßen rosige Aussichten. Grit Jurack dürfte es noch einige Länderspiele mehr bescheren als die 150.