Experiment EU-Armee in Südosteuropa

Die Nato will ihre Kontingente in der Region reduzieren. Kann eine EU-Armee an ihrer statt den Frieden sichern?

Auf 7.000 Mann wird die Nato ihr Kontingent in Bosnien und Herzegowina reduzieren. Das klingt vernünftig, ist es doch in den letzten Jahren gelungen, die Armeen der ehemaligen Kriegsparteien im Lande stark zu verkleinern. Mit der vom Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, Paddy Ashdown, durchgesetzten Armeereform werden die militärischen Formationen der Bosniaken (Muslime), Kroaten und Serben im Lande bis Jahresende unter ein einziges Oberkommando gebracht. Langfristig sollen die Armeen der einstigen Kriegsparteien zu einer einheitlichen Armee zusammenwachsen, die dann in die Nato integriert wird.

Ausländische Friedenstruppen wären, liefe alles nach Plan, nicht mehr nötig. Doch so weit ist es noch nicht. Mit dem Anspruch der EU, nicht nur die eigenen Militärstrukturen zu stärken, sondern auch in Südosteuropa die militärische Verantwortung zu übernehmen und die Präsenz der Nato zurückzudrängen, ist ein neues Element in der sicherheitspolitischen Debatte aufgetaucht. Wie schon in Mazedonien soll nach Plänen aus Brüssel bis Ende 2004 die EU-Armee in Bosnien die Nato ablösen. Was mit den US-Kontingenten passiert, ist noch nicht ausgemacht. Zwar haben angesichts anderer Brennpunkte in der Welt die USA ein Interesse daran, ihr Personal auf dem Balkan zu reduzieren, als politisch-militärischer Faktor möchte Washington jedoch nicht von der Landkarte dieser Region verschwinden.

Der Anspruch der EU und die Interessen der USA können angesichts dieser Konstellation kollidieren. In der Vergangenheit drängte Frankreich darauf, den Oberbefehl über die Nato Europa-Süd mit der Kommandozentrale in Neapel von den USA zu übernehmen. Über den Umweg EU-Armee könnte dies gelingen.

Wenn aber USA und EU in Südosteuropa in Konflikt geraten, könnte der Friedensprozess in der Region insgesamt einen Rückschlag erleiden. Der Westen ist nur einig stark, das lehrte der Bosnienkrieg. Für die Öffentlichkeiten in Kroatien, Serbien, Bosnien, Kosovo, auch Mazedonien verfügen die USA und die Nato über beträchtliche Autorität, während die Rolle Frankreichs und Großbritanniens in den Balkankriegen der 90er-Jahre kritisch gesehen wird.

Es ist also fraglich, welche sicherheitspolitischen Vorteile eine EU-Armee gegenüber der Nato in Bosnien und im Kosovo brächte. In Mazedonien ist zu lernen, dass das Kontingent der EU bisher nur durch die Unterstützung der Nato ihre Rolle ausfüllen kann. Sollte es wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen, würde die Nato eingreifen müssen. Die Autorität der EU-Armee ist nicht besonders hoch. In Sarajevo fordert die Öffentlichkeit die USA auf, im Lande zu bleiben. Nach dem Rechtsruck in Kroatien und der zu erwartenden Niederlage der Reformkräfte in Serbien könnten nationalistische Kräfte wieder gestärkt werden.

Die Präsenz der Nato kann sie im Zaume halten. Eine EU-Armee jedoch produziert Unsicherheit. In Brüssel sollte man ernsthaft prüfen, ob das Experiment EU-Armee unbedingt auf dem Rücken der leidgeprüften Bevölkerung der Region durchgesetzt werden muss. ERICH RATHFELDER