Mann in der Krise

Die Midlifecrisis, auch Wechseljahre des Mannes genannt oder salopp „Gockelkrise“, befällt die Herren meist im Alter zwischen fünfundvierzig und sechzig Jahren. Tief greifende körperliche und emotionale Veränderungen, die ihre Gesundheit, Beruf und Privatleben beeinträchtigen können, sind die Ursache, sagen die einen.

Die anderen glauben gar nicht daran, dass so eine universelle Krise im mittleren Erwachsenenalter überhaupt existiert. Die Entwicklungspsychologie verweist darauf, dass es in allen Lebensabschnitten natürliche Krisenpunkte in der Entwicklung gibt.

Nur ein Viertel der Männer glaubt, eine Midlifekrise durchgemacht zu haben. Mehr als die Hälfte von diesen Betroffenen führt als Ursache Ereignisse an, die ihnen Stress verursacht haben, aber auch in jedem anderen Alter hätten passieren können. Wirkliche Krisen aus Angst vor dem Alter durchleben unter zehn Prozent aller Männer.

Wie in der Pubertät bergen die Jahre zwischen vierzig und fünfzig jedoch ein besonders sensibles Empfinden gegenüber Veränderungen. Zwei Drittel aller Frauen leiden dann körperlich und seelisch. Vor allem die, die sich stark über Äußerlichkeiten definieren, plagen sich mit dem Verlust der Jugend und haben Angst, mit der weiblichen Konkurrenz nicht mehr mithalten zu können. Ähnliche Symptome haben Männer, sie sind aber körperlich weniger betroffen. Auch bei ihnen ändert sich die Hormonproduktion, zwischen 25 und 50 geht sie etwa auf die Hälfte zurück, aber in der Regel sehr gleichmäßig. Von Wechseljahren beim Mann sprechen Mediziner, wenn der Testosteronspiegel plötzlich abfällt. Das betrifft nur wenige, die dann ähnliche Symptome wie Frauen im Klimakterium erleben: Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen, nachlassende Lust.

Die Lebensmitte kann durchaus eine turbulente Zeit sein. Die Karriere ist in dieser Zeit auf ihrem Höhepunkt, man hat eine Familie gegründet, vielleicht ein Haus gebaut, das die ersten Kinder unter Umständen schon wieder verlassen. Die Partnerschaft muss sich weiter bewähren. Vielleicht gab es schon eine Trennung. Gleichzeitig wird der eigene Körper schwächer, Funktionen fallen aus oder sind defekt; das Alter wird sichtbar. Einige Männer kompensieren es durch einen „zweiten Frühling“, suchen sich eine junge Partnerin, wechseln den Job, pflegen ihren Körper plötzlich exzessiv.

Die meisten Forscher meinen, dass die eigene Bewertung des Lebens, der Umgang mit Problemen und die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen, darüber entscheiden, wie man diese Lebenskrise bewältigt. Gegen die emotionalen Wirren helfen ein geregelter Tagesablauf, Sport und gesunde Ernährung. Hilfreich kann es auch sein, sich als Paar neue Interessen zu suchen.

Durch sich verändernde Lebensläufe und durch die immer weicher werdenden Unterschiede zwischen den Generationen kann sich auch die Midlifecrisis verschieben. Unter dem Begriff Quarterlife Crisis wird die Krise zur Trendkrankheit für alle unter 30 gemacht. Das Ende der Ausbildung, der Start in den Job und die Suche nach einer festen Partnerschaft markieren diese Sinnkrise nach dem ersten Lebensviertel.

Walter von Hollander hat in seinem Buch „Der Mensch über Vierzig. Lebensformen im reiferen Lebensalter“ (zuerst veröffentlicht 1937) die Sinnkrisen berühmter Männer zusammengetragen. Demnach ließ sich Mörike mit 39 pensionieren, weil er ständig krank und hypochondrisch war, Hölderlin wurde mit 35 wahnsinnig. Händels große Krise erfasste ihn mit 43. Er ging bankrott, erlitt einen Schlaganfall und wandte sich nach erfolglosen Opern den Oratorien zu – mit 57 verfasste er den „Messias“. Kant war 57, als er die „Kritik der reinen Vernunft“ schrieb, bei Verdi kriselte es zwischen dreißig und vierzig Jahren, danach schuf er den „Maskenball“, „Don Carlos“ und mit 58 Jahren „Aida“. Die Midlifecrisis kann also auch Impuls sein und Ausgangspunkt, um noch ein mal Großes zu bewegen. JULIANE GRINGER