Tageskinder in der Schwebe

In Altona bangen mehr als 80 Tagesmütter und Tagesväter um ihre Existenz. Weil sie nach Hartz IV-Kriterien als arbeitsfähig gelten, wurden sie aufgefordert, sich einen Job zu suchen. 250 Kinder müssten anderweitig betreut werden

Von Kaija Kutter

Werner Haase ist von Beruf Erzieher, hat sich aber aufgrund seiner Qualifikation eine eigene Existenz als Tagesvater aufgebaut. Jede Woche betreut der 49-Jährige in seiner Altonaer Dreizimmerwohnung vier Kinder bis in die Abendstunden hinein, arbeitet 56 Stunden, kocht 80 Mahlzeiten im Monat, macht Schularbeiten, Sprachförderung, Ausflüge und Freizeitangebote für die ihm anvertrauten jungen Menschen, die, wie er sagt, „zum größten Teil in einer Kita untergehen würden, weil sie die Einzelzuwendung brauchen“.

Doch damit könnte es bald vorbei sein. Weil der allein erziehende Vater formal gesehen als arbeitsfähig gilt, erhielten er und mit ihm weitere 80 bis 90 Tagespflegeeltern aus dem Bezirk vom neuen Grundsicherungsamt die Aufforderung, Arbeitslosengeld II zu beantragen und sich eine Arbeit zu suchen.

Denn Haase erhält zusätzlich zu den 460 Euro Erziehungsgeld rund 900 Euro ergänzende Sozialhilfe – darin enthalten ist die Miete für seine Wohnung, die wegen der vier Tageskinder ein Zimmer mehr hat, als dem Vater und seiner Tochter eigentlich zustünden.

Dass Tagespflegeeltern mit Sozialhilfe unterstützt werden, geht auf eine alte Absprache auf Sozialdezernenten-Ebene zurück, berichtet Haase, der nun einen Brief an alle Betroffenen geschickt hat und mit seinen KollegInnen im regen Austausch steht. Sein Fazit: Für insgesamt 250 Kinder von 200 Altonaer Familien steht ab 1. Januar die Betreuung auf dem Spiel. Statt Kinder zu betreuen, müsste für die Tagespfleger irgendeine mehr oder weniger sinnvolle 1-Euro-Beschäftigung gefunden werden (taz berichtete mehrfach).

Bei 98 Prozent der Pfleger handle es sich um „beruflich vorqualifizierte Personen“, berichtet Haase, die nach einem leicht erhöhten Tagespflegesatz II bezahlt werden und in ihren eigenen vier Wänden eine Arbeit leisten, für die sonst „sehr viel teurere Jugendhilfemaßnahmen“ nötig würden. „Ich habe Kinder betreut, die das Jugendamt woanders nicht unterbringen kann. Die brauchen zum Teil Medikamente und Therapie.“

Zudem decken Haase und seine KollegInnen Randzeiten der Kinderbetreuung bis nach 20 Uhr ab, wie sie Beschäftigte im Kranken- und Pflegebereich oder aber auch die allein erziehende Kassiererin im Supermarkt unbedingt bräuchten. „Wir bekommen pro Kind nur 80 Cent die Stunde“, sagt Haase. „Gäbe es uns nicht, würde es für den Staat viel teurer.“

In der Tat gelten Tagespflegeplätze als günstige Alternative. „Für uns ist der Bereich sehr wichtig, wir wollen ihn sogar ausbauen“, erklärt Sozialbehördensprecherin Anika Wichert. Deshalb gebe es jetzt „interne Gespräche“, um eine Lösung zu finden. Wichert: „Sicher ist, dass nicht alle Kinder ab dem 1. Januar auf der Straße stehen.“ Langfristig allerdings könne sie keine Entwarnung geben. „Tageseltern gelten auf Arbeitsmarktebene als arbeitsfähig.“

„Man kann Tagesmütter- und väter nicht generell davon ausnehmen, zur Vermittlung zur Verfügung zu stehen“, erklärt auch Christian Saadhoff, Sprecher der Behörde für Wirtschaft und Arbeit (BWA). Deshalb wolle die BWA der Sozialbehörde vorschlagen, dass in diesen Fällen immer eine „Einzelfallprüfung“ stattfinde. Saadhoff: „Auf keinen Fall wird es für Tagesmütter- und väter zwangsweise 1 oder 2 Euro-Jobs geben.“ Das wäre auch offenkundig Blödsinn.