„Das ist menschenverachtend“

Interview mit dem neuen sozialpolitischen Sprecher der Grünen, Dirk Schmidtmann, über den Sachstandsbericht, nach dem Bremen 20 Prozent der Sozialleistungen sparen könnte

Bremen taz ■ Dirk Schmidtmann ist der neue sozialpolitische Sprecher der Grünen, von Beruf Bauingenieur. Er rückte für Helga Trüpel in die Bürgerschaft nach. Wir fragten ihn nach dem aktuellen Streit in der Sozialdeputation um Einsparungen bei den Sozialleistungen.

taz: Es gab in Bremen eine große Reform des Systems der Sozialleistungen, danach sollten die Fachleute, die über die notwendigen Hilfen entscheiden, strikt abgeschirmt werden gegen die Frage nach den Kostenfolgen. „Neuordnung der Sozialen Dienste“ (NOSD) hieß das, Henning Scherf war damals der verantwortliche Sozialsenator. Diese Reform wird seit Jahren zerstört und das genaue Gegenteil eingeführt: Erst nach einem Blick auf die Kosten soll der Standard der Hilfe festgelegt werden. Welches System finden Sie besser?

Dirk Schmidtmann: Ich finde das alte Vorgehen besser. Und das ist auch mit den geringeren Folgekosten verbunden.

Das heißt: Wenn Sozialarbeiter rein fachlich entscheiden und nicht auf die Kosten achten, ist das auf Dauer auch billiger?

Es entstehen weniger Folgekosten. Wir verschieben doch nur die Kosten von dem einen Etat in den anderen Etat. Wir streichen bei der frühen Förderung auffälliger Kinder und ein paar Jahre später stellen wir fest, dass die Kosten im Bildungssystem steigen, und irgendwann reden wir über die Kosten im Justizressort. Diese typischen Karrieren sind doch bekannt.

Es gibt einen Sachstandsbericht zur Kürzung der Sozialleistungen, der unter dem Strich zu dem Ergebnis kommt, dass man 93 Millionen Euro oder mehr sparen könnte, wenn Bremen bei den Ausgaben im Bundesdurchschnitt liegen würde. Das wären 20 Prozent der Sozialausgaben Bremens. Ist das in der Sozialdeputation ernsthaft diskutiert worden?

Die Sozialsenatorin hat gesagt, das sei ein „Non-Paper“ und fachlich inkompetent, und es sei destruktiv, dass das jetzt in die Öffentlichkeit gekommen wäre. Die Pflegeverbände haben natürlich daran erinnert, dass sie aufgrund dieses offiziellen Sachstandsberichtes im September ihre Mitarbeit bei den Verhandlungen aufgekündigt haben. In dem aktuellen Bericht, der jetzt in den Senat geht, stehen überhaupt keine Zahlen mehr.

In dem Non-Paper steht, dass im Bereich stationäres Wohnen in Bremen 38.530 Euro pro Hilfsempfänger ausgegeben werden, der Bundesdurchschnitt liege bei 31.000 Euro.

Kein Mensch weiß, woher solche Zahlen kommen und ob wirklich vergleichbar ist was da verglichen wird. Bremen ist eine Großstadt.

Aber die Unterschiede der Miete erklären nicht 7.000 Euro im Jahr. Bremen habe auch mehr Fallzahlen als andere Großstädte, steht da.

Es gibt differenzierte Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände, nach denen diese Zahlen totaler Quatsch sind.

„Nur durch eine Absenkung der Standards in den Einrichtungen kann ein dramatisches Ansteigen der Ausgaben vermieden werden“, heißt es in dem Sachstandsbericht. Das zielt auf die Alterspyramide.

Es gibt diese hilfebedürftigen Menschen, es gibt die gesetzliche Verpflichtung, ihnen zu helfen.

In Berlin sind die Zuwendungen für die Wohlfahrtsverbände um acht Prozent gekürzt worden zwischen 2003 und 2005, in Bremen wurden sie festgeschrieben. Das kostet Bremen sechs Millionen Euro, sagt der Sachstandsbericht.

Natürlich sind die Träger daran interessiert, ihre Heime voll zu bekommen. Dann muss man aber mit den Trägern andere Zielvereinbarungen verhandeln.

Zwei Millionen Euro sollen bei der Therapie für Korsakov-Patienten gespart werden. Was bedeutet das?

Das sind Menschen, die sich um den Verstand gesoffen haben. Da zu streichen, das geht nicht. Das sind ganz arme Leute mit richtigen Gehirnschädigungen.

Im Kita-Bereich sind schon drei Millionen Euro bei den Integrationshilfen gestrichen worden.

Man versucht, die Standards zu senken. Das ist der falsche Weg. Das fällt uns sonst doch alles wieder auf die Füße, spätestens in der nächsten Pisa-Studie.

Bei den Asylbewerbern sagt der Sachstandsbericht, Bremen komme mit den Abschiebungen nicht nach, im Bundesdurchschnitt habe Bremen daher 15 Millionen mehr Kosten als sein müssten.

Wir gehen davon aus, dass da nach Recht und Gesetz gehandelt werden muss und nicht nach Kassenlage abgeschoben werden kann.

Die „Euthanasielücke“ schließt sich, heißt es da. Die Zahl geistig und seelisch kranker alter Menschen steigt. Die, die heute 70 oder 80 wären, sind oftmals von den Nazis ermordet worden. Aber die nachfolgende Generation nicht mehr – das werde ganz teuer.

Das ist doch menschenverachtend. Ich kann das nicht kommentieren. Das ist ein Non-Paper.

Interview: Klaus Wolschner