Unter Feuerquallen

Als Langstreckenschwimmerin ist es die Rostockerin Britta Kamrau gewohnt,wenig Beachtung zu finden. In Dubai schwimmt sie derzeit um Weltmeistertitel

ROSTOCK taz ■ Den schlimmsten Tag ihrer Karriere erlebte Britta Kamrau in China, bei einem Weltcup-Rennen über 25 Kilometer in der Bucht vor Haikou. Es war ein Tag im Juni, an dem alles schief ging, was schief gehen konnte. Britta Kamrau ist Langstreckenschwimmerin, sie gehört zu den Besten der Welt. Zuversichtlich stieg sie damals ins Wasser, sie ahnte nicht, dass sie im Chaos versinken würde.

Es gab keine medizinische Versorgung und keine Orientierungsbojen. Stundenlang schwammen sie auf der Stelle, die Organisatoren hatten die Strömung vergessen. Schnell waren die Getränke aufgebraucht, später brach ein Gewitter herein, das die Tortur lebensgefährlich machte. Nach zehn Stunden wurde das Rennen abgebrochen wegen einbrechender Dunkelheit, die Siegerin hatte man eigentlich nach fünf Stunden im Ziel erwartet. Schreiend und zitternd entstieg Kamrau dem Wasser. Ihr Körper war mit Spuren übersät, als wäre sie gerade ausgepeitscht worden; sie hatte die Bekanntschaft mit dutzenden Feuerquallen gemacht. „Ich habe Wochen gebraucht, um das zu verarbeiten“, sagt sie. „Aber damit müssen wir leben. Ich bin drüber hinweg.“

Britta Kamrau, 25, ist keine zimperliche Person, Langstreckenschwimmer sind im Allgemeinen robuste Gesellen. Doch die Rostockerin sieht nicht so aus, als würde sie ihren Sport gerne als Überlebenstraining nutzen. „Wir sind nicht olympisch, also haben wir schlechte Argumente“, sagt sie. Die Folgen sind fehlende Professionalität und dilettantische Außendarstellung. Die derzeit in Dubai stattfindenden Weltmeisterschaften sollen wieder einmal zur Imagekorrektur beitragen. „Zuletzt hatte ich das Gefühl, es wird immer schlimmer“, sagt Kamrau.

Es nährt sich der Eindruck, als sei das Langstreckenschwimmen auf ewig in der Pubertät gefangen. Anfang der Neunzigerjahre machte Peggy Büchse, ebenfalls in Rostock beheimatet, auf die Randsportart aufmerksam. Der Weltverband Fina glaubte, eine nette Open-Air-Adaption zum Beckenschwimmen gefunden zu haben. Mit der Zeit wurde der Wettkampfkalender aufgebläht, der Sport wuchs schnell, obwohl es die Ressourcen nicht zuließen. Länder wurden mit der Organisation von Weltcup-Rennen beauftragt, die so geeignet waren wie Brasilien als Austragungsort für die Biathlon-WM. Die Konsequenz: treibende Baumstämme, Piranhas als Begleiter, Feldbetten für die Übernachtung und Gewässer mit Kühlschranktemperaturen. Das Marathon-Schwimmen gilt noch immer als schmuckloser Gegenentwurf zur glitzernden Beckenwelt der Phelps’ und Thorpes. „Wenn die wüssten, wie gut sie es haben“, sagt Britta Kamrau.

Was bleibt, ist der Spaß. Und die Hoffnung auf Olympia. Die Chancen stehen gut, dass die Zehn-Kilometer-Distanz ins Programm von Peking aufgenommen wird. „Dann hätten wir einen größeren Finanzierungsspielraum“, sagt Christian Bartsch, der beim Deutschen Schwimm-Verband (DSV) für das Langstreckenschwimmen zuständig ist. Knapp 62.000 Euro kostet seine Abteilung den Verband im Jahr, auf die Förderung des Bundes muss er verzichten. Allein die WM in Dubai verschlingt ein Drittel des Etats. Einen Großteil müssen die Schwimmer aus der eigenen Kasse bezahlen. 15.000 Euro verschwimmt Britta Kamrau im Jahr. Ihren einzigen Sponsor verliert sie zum Jahresende, der Heimatverein steckt in wirtschaftlichen Turbulenzen. Bei der EM in Madrid war Kamrau in allen drei Disziplinen, über 5, 10 und 25 Kilometer, Europameisterin geworden, das hatte es noch nicht gegeben. Ihre Werbedienste wollte trotzdem niemand in Anspruch nehmen. Nur der Playboy bat um ein freizügiges Fotoshooting. Kamrau lehnte ab, sie ist angehende Juristin, Nacktheit, so glaubt sie, verträgt sich nicht mit der Gesetzeskunde. Der Rekord bei der EM brachte ihr keinen Cent.

Britta Kamrau wird sich weiter in Geduld üben müssen. Olympia 2008 wäre das Licht am Ende eines langen Tunnels. Das glaubte auch Vorgängerin Peggy Büchse. Jahrelang schwamm sie durchs Chaos, bis die Öffentlichkeit Notiz von ihr nahm. Als sie merkte, dass Olympia unerreichbar war, plante sie das Karriereende. Britta Kamrau hingegen wird weiter 3.000 Kilometer im Jahr durchs Wasser pflügen. Für sie ist die Hoffnung noch nicht gestorben. Olympia in China würde all die unschönen Erinnerungen an Feuerquallen und Unwetter überdecken. Es sei denn, das Rennen fände in der Bucht vor Haikou statt.

RONNY BLASCHKE