Der große Schlaf

Ein spannender Krimi, aber ein ermüdendes Hörerlebnis: „Tatort“-Kommissar Freddy Schenk alias Dietmar Bär liest Håkan Nessers „Sein letzter Fall“

Es muss herrlich sein, mal einen Krimi vorgelesen zu bekommen. Dachte ich, als der Auftrag kam, ein Hörbuch zu besprechen. Das ist genau das Richtige nach einem anstrengenden Tag, wenn man abends nicht lesen mag: sich mit spannender Unterhaltung berieseln zu lassen und einfach die Augen schließen zu können. Großartig! Erwartungsvoll nahm ich die kleine Plastikkiste mit sechs CDs von insgesamt siebeneinhalb Stunden Hörlänge in Empfang. Sie enthielten den Roman „Sein letzter Fall“ des schwedischen Erfolgsautors Håkan Nesser, gelesen von Dietmar Bär, den man sonst als Kölner „Tatort“-Kommissar kennt.

Beim Hören der ersten CD merkte ich schnell, dass das Vorhaben intellektuell nicht so trivial war. Denn weder hatte Herr Bär die Gewohnheit, beim Lesen Absätze deutlich zu markieren, noch machte die CD zwischen den einzelnen Tracks – die vielleicht Kapiteln entsprachen – nennenswerte Pausen, sodass ich innerhalb kürzester Zeit recht verwirrt war von den, wie es schien, plötzlichen Perspektivwechseln. Auch die Geschichte von dem verwahrlosten Privatdetektiv, den eine schöne Amerikanerin beauftragt, ihren Mann zu beschatten, war ein allzu offen präsentierter Chandler-Abklatsch, um echtes Interesse zu wecken. Doch die Stimme von Herrn Bär ist angenehm und auch nicht zu modulationsreich, sodass man sich in der Tat herrlich beim Hören entspannt.

Der Detektiv fährt also hin zur Villa des Ehepaars, besichtigt das Anwesen von außen und sieht in der Ferne einen großen Sprungturm, der zu einem Swimmingpool gehören muss. Mein letzter Gedanke galt dem Formalisten Viktor Sklovskij, der sinngemäß geäußert hat, wenn in der Literatur ein Sprungturm auftauche, werde er früher oder später auch benutzt. Dann war ich in tiefere Bewusstseinsschichten abgetaucht und schwamm mit Delfinen im weichen, blauen Wasser des Meeres. Später wachte ich davon auf, dass die dauersprechende Männerstimme, die meinen Tauchgang begleitet hatte, plötzlich verstummt war. Die erste CD war zu Ende. Zum Glück hatte mein Mithörer sich immer wieder wach kämpfen können und wusste am nächsten Morgen zu berichten, dass in der Tat der Sprungturm als Mordinstrument zum Einsatz gekommen war. Nun war die Frau tot.

Abends, auf der zweiten CD, wurde der Ehemann der Toten als das größte Schwein auf Erden vorgestellt, und allen war nur zu klar, dass er der Mörder sein musste. Diesmal war ich schon nach zehn Minuten eingeschlafen. Beim Frühstück erfuhr ich von meinem Mithörer sehr unschöne Details aus dem Vorleben des Mannes. In Sorge darüber, meinem Auftrag nur ungenügend nachzukommen, traf ich für den kommenden Abend Maßnahmen und trank nachmittags literweise Kaffee. Das versetzte mich in die Lage, die langweilige Gerichtsverhandlung mitanzuhören, bei der dem Schwein aber auch nicht das kleinste bisschen nachgewiesen werden konnte. Spannender wurde die Sache ab der vierten CD, auf der, 15 Jahre später, der Privatdetektiv plötzlich verschwindet und Exkommissar Van Veeteren (oder Van Weteren, wie Herr Bär sagt) wieder in den alten, ungelösten Fall hineingezogen wird.

So stand ich die Sache bis zum Ende durch, und, ja, es gab noch eine überraschende Wendung. Das ist für einen Krimi dieser Art aber auch das Mindeste. Nichts gegen Håkan Nesser. Er baut seine Krimis sauber und mit klassischem Spannungsbogen auf, und dass der schwedische Autor seine Hauptfigur ziemlich willkürlich zum Niederländer gemacht hat, der in einem ziemlich leblosen Kunstholland lebt, tut der Spannung beim Lesen keinen Abbruch. Beim Lesen! Denn lesen kann – und muss– man so was schnell, in der U-Bahn, beim Essen, in der Badewanne.

Ist diese genretypische Gebrauchsprosa auf 450 Minuten Hörzeit gestreckt (gekürzte Fassung), beginnt das Leiden: an der Flachheit der Sprache und Charaktere. An der Vorhersehbarkeit des Plots (oder Sujets, wie Sklovskij sagen würde). An der Schwere des eigenen Körpers.

KATHARINA GRANZIN

Håkan Nesser: „Sein letzter Fall“.Gelesen von Dietmar Bär. Random House Audio 2004, 6 Audio-CDs, 22 €