Hinter den Kuchenbergen

Unterwegs an den Ort, wo die Träume und die Toten sind: Britta Höpers und Ulrich Bassenges Country-Hörspiel „Spade Cooley. King Of Western Swing“ mit Peter Lohmeyer in der Rolle des Cooley

von FRANK SCHÄFER

„Er genießt die peinlichen Briefchen der jungen Mädchen, das Schulterklopfen des Managers, die tränenstolzerstickten Anrufe der Mutter und würde niemals wagen, es auszusprechen – aber er fühlt sich größer als Jesus Christus.“ Hybris kommt vor dem Fall, das lehrt schon die antike Tragödie – und der eine oder andere Country-Song. Spade Cooley hat es geschafft, er hat eine eisenharte Kindheit (die Mutter verprügelt ihn mit dem Schürhaken!) und demütigende Jahre als Double für den Jodelcowboy Roy Rogers hinter sich und nun mit seiner eigenen Band einen Hit gelandet. Er ist der selbst ernannte King Of Western Swing, „der Roy Rogers verdammt alt aussehen lässt“, der bald eine eigene Fernsehshow hat und den Erfolg nur aushält mit einer Mischung aus Alkohol und Pillen.

Er ist ein manischer Spieler (Spade!), ein geckenhafter Parvenü, cholerisch und latent gewalttätig. Seine Frau, die ehemalige Backgroundsängerin Ella Mae, wird schon bald Opfer seiner wahnhaften Eifersucht – und der Schürhakensozialisation. Und als dann alles den Bach hinuntergeht, wie es einem so archetypischen Schicksal nun einmal auf den Leib geschrieben ist, die Band sich auflöst, seine Show eingestellt wird, der Plan, seine Tochter Melody als Country-Frontfrau ins Geschäft zu bringen, scheitert und schließlich sogar sein gigantisches Freizeitparkprojekt in der Mojave-Wüste Pleite macht, schlägt er seine Frau tot – und zwingt seine Tochter, ihm dabei zuzusehen: „You’re gonna watch me kill her (otherwise I’ll kill you and me, too).“

Der Bayerische Rundfunk hat Britta Höpers „faction“-Hörspiel, denn offensichtlich gab es da mal eine historische Figur, die diesem Spade Cooley Pate stand, ziemlich aufwändig produziert. Stellenweise auch leicht überproduziert. So hat man den Off-Erzähltext auf so viele Sprecher verteilt – und dabei auch noch den altmodischen Stereoeffekt so forciert eingesetzt–, dass man bei dem vielen Hin und Her leicht den Faden verliert. Man hätte hier einfach auf Höpers schöne, diese typische Westernarchaik, das alte „unheimliche Amerika“ sehr gut treffende Diktion vertrauen sollen. Etwa bei der Szene, in der sie den (hier: die) Erzähler über die Wüste reflektieren lässt und damit schon das Scheitern des Vergnügungsparks und das grausame Ende der Ella Mae Cooley andeutet: „Hier erwachen die bösen Träume. Träume voll schriller Schreie, Träume von verscharrten Toten oder Halbtoten, die anders als die struppigen Sträucher beim nächsten Regen nicht wieder zum Leben erwachen. Deswegen und weil die Klimaanlagen den Aufenthalt in der Steppe zumindest erträglich machen, entfernen die Leute sich äußerst ungern von ihren Autos. Aber auch in den Autos fühlen sie sich nicht sicher. Weil der Feind sich in der Ödnis nicht verstecken kann, so muss er nah bei dir sein. Dein Freund, deine Frau. Und plötzlich wird ihnen der Sinn ihres Daseins klar, denn hier nun tun sich zwei Wege auf, beide führen in alle Himmelsrichtungen, und doch steht man am Ende entweder bei denen, die die Grube ausheben, oder bei denen, die darin liegen.“

Aber überdies schöpft man die Möglichkeiten des Mediums ziemlich aus und macht so deutlich, was all die anderen von mehr oder minder bekannten Schauspielern brav und mit Betonung eingelesenen Hörbücher im Vergleich wert sind. Da werden akustische Hintergründe gemalt, Stimmungen orchestriert, und wenn die Worte allein nicht mehr reichen, gibt es Songs. In Zusammenarbeit mit Ulrich Bassenge, der das Projekt initiierte und für die musikalische Leitung verantwortlich war, hat Höper ein ganzes Dutzend fulminanter Western-Swing-Songs geschrieben, die den Handlungsverlauf immer wieder unterbrechen, kommentieren oder auf kommende Unbill voraus deuten – und allen Beteiligten schienen die Ergebnisse, mit Recht, so gelungen, dass man noch eine zweite CD nur mit der Musik beigelegt hat. Zu hören sind dann ein paar wirklich kongenial eingedeutschte Country-Standards nicht zuletzt von Hank Williams („Ich kann machen, was ich will, doch es hat keinen Zweck. Ich komm aus dieser Welt nicht lebend weg“) und mindestens ebenbürtige Eigenkompositionen, etwa das leitmotivische „Schäm dich!“, Cooleys erster Hit, der textlich auch schon sein ganzes Elend avisiert.

Fast noch schöner „Die großen Kuchenberge“. Reiner Schöne, der auch Roy Rogers glaubhaft zum Leben erweckt, besingt mit verhaltener, abgefeimter Ironie das Paradies eines waschechten Rednecks wie Cooley, das seinen unaufhaltsamen Niedergang kontrastiert und entsprechend die Fallhöhe vergrößert.

„Die Protagonisten sprechen deutsch, singen deutsch, denken wahrscheinlich deutsch“, heißt es im Booklet, und aus dieser Adaption des Uramerikanischen bezieht das Stück gelegentlich seinen Witz, nicht zuletzt bei den Songs. Aber es ist alles andere als eine Persiflage, dafür wird das Tragödienhafte des Stoffs zu deutlich ausgestellt. Von Peter Lohmeyer als Cooley hätte man sich deshalb mehr Zurückhaltung gewünscht. Er gibt den Westerndandy viel zu aufgedreht, übertrieben breit, macht oftmals eine texanische Karikatur aus ihm, dabei stammt er doch bloß aus Pack Saddle Creek, Oklahoma. Ganz großartig jedoch beginnt er die Szene, in der man Spade Cooley offenbart, dass seine Show gekippt wird. Das Telefon klingelt. Er hebt den Hörer ab. „Spade Cooley – the king of western swing.“ Man hört, wie oft er das schon gesagt hat.

Britta Höper, Ulrich Bassenge: „Spade Cooley. King Of Western Swing“ (intermedium records/Strunz!)