„Umweltbilanzen sind unerwünscht“

„Umweltargumente im Sinne der Nachhaltigkeit werden immer mit dem Holzhammer klein gemacht“, meint der Umweltanwalt Sigbert Riccabona

taz: Wurde beim Bau des Aqua Dome eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemacht?

Sigbert Riccabona: Nein. Man hat die Größe der Grundfläche durch geschickte Manipulation so gehalten, dass sie ganz knapp unter dem Schwellenwert lag.

Gab es keine Umweltbilanz für dieses energiefressende Großprojekt?

Es gibt keine Umweltbilanzen. Das haben wir vom Landesumweltamt zwar für hochentwickelte Täler wie das Ötztal immer wieder gefordert, um den Energieverbrauch und die Kosten der Umweltbelastungen in den Griff zu bekommen. Aber man will solche Bilanzen nicht, denn es könnte herauskommen, dass die ganze Entwicklung schon zu weit getrieben worden ist.

Welche Argumente gibt es gegen die Umweltdiskussion?

Die Hauptargumente sind auch beim Aqua Dome immer die neuen Arbeitsplätze und dass die heimische Hotellerie von dem erwarteten Besucherstrom profitieren kann. Man wirbt damit, dass der Standort interessanter werde. Dass der Aqua Dome ein Segen für das ganze Tal sei.

Und damit geben sich alle zufrieden? Auch Umweltgruppen und Umweltvertreter?

Umweltargumente im Sinne der Nachhaltigkeit werden immer mit dem Holzhammer klein gemacht. Das Argument ist immer: Wir müssen expandieren, sonst werden die Täler entsiedelt wie in Frankreich und Italien. Diese Diskussion wird mit großer Vehemenz und Aggression geführt. Das Seilbahnunternehmen bestimmt praktisch das Geschehen im Tal. Jeder, der etwa Nachhaltigkeitsfragen stellt, wird marginalisiert, an den Rand gedrängt. Das geht so weit, dass bei Abstimmungen die Leute manipuliert werden bis hin zu versteckten Drohungen mit dem Arbeitsplatz etc. Da entstehen politische Strukturen, die sehr rigide sind und neuen Ansätze nicht zulassen.

Vom ökologischen Standpunkt ist das Projekt Aqua Dome also nie ins Kreuzfeuer der Kritik geraten?

Nein. Es ist schwierig beispielsweise die Verkehrsauswirkungen des Aqua Dome greifbar zu machen. Tatsche ist, dass derzeit von den Söldenern vor Ort die Öffnung der Verkehrsroute vom Norden nach Süden gefordert wird. Sprich, dass der Tschirgant-Tunnel gebaut wird, damit man schneller von den süddeutschen Ballungsräumen ins Skigebiet kommt. Einerseits ist Tirol geplagt vom Transitverkehr, andererseits erzeugt man selber viel Verkehr. Das sind Problematiken, die insgesamt aus der Expansion entstehen, die man aber schwer zuweisen kann. Entstehen sie nun durch den Aqua Dome oder durch den neuen Lift? Man weiß nur, wenn man die letzten zwanzig Jahre zurückschaut, dass der Verkehr durch nicht existierende überregionale Raumplanung stark zugenommen hat.

Expansion bedingt also weitere Expansion?

Ja, wenn ich in diesem System drin bin, dann treiben die Sachzwänge die Spirale hinauf. Wenn die Verschuldungsrate beispielsweise sehr hoch ist, suchen die Täler nach einem neuen Auftritt auf der Werbebühne. Im Ötztal ist dies der Aqua Dome, als Attraktion außerhalb des Skifahrens, die auch sommerwirksam sein soll. Doch höher als der Gipfel kann man irgendwann nicht mehr steigen.

Wie werden die EU-Leitlinien beispielsweise zur Nachhaltigkeit durchgesetzt?

Viele der sehr sinnvollen neuen Gesetzgebungen wie strategische Umweltprüfung unter nachhaltigen Gesichtspunkten oder die Alpenkonvention werden kaum umgesetzt. Die Bestimmungen und Vorgaben werden einfach nicht wahrgenommen. Höchstens so weit, dass man sich keine Klage einhandeln will. In der internen Debatte wird dann Brüssel zum neuen Feindbild. Auch der reformerische Nachholbedarf in der Umsetzung von Projekten wie Transparenz und Mitbestimmung wird als störend angesehen.

Und die Politik hält sich dabei außen vor?

Die besonderen räumlichen Gegebenheiten im alpinen Raum führen dazu, dass gewisse Regionen des Landes, insbesondere das Inntal, als stark belastet anzusehen sind: vor allem durch den Transitverkehr. Außerdem sind nur zwölf Prozent der Landesfläche für eine dauernde Besiedelung geeignet, und der enorme Entwicklungsschub bezüglich der Erschließungen im Tourismus ist da kontraproduktiv. Allein in Tirol befinden sich mehr Gästebetten als in ganz Griechenland. Erstmalig reagiert die Politik, indem ein restriktives Seilbahnkonzept für die nächsten zehn Jahre verordnet wurde und derzeit mit einem landesweit gültigen Raumordnungskonzept begonnen wird. Es wurde klar erkannt, dass die Mentalität „Alles soll möglich sein“ nicht zukunftsfähig ist, sondern klare Zielsetzungen bezüglich der Landesentwicklung unverzichtbar sind.

INTERVIEW: EDITH KRESTA