Hauptstadtträume

In der ehemaligen Hauptstadt Bonn residieren immer noch afrikanische Botschafter. Ihren Heimatländern fehlt das Geld für den Umzug nach Berlin

Der Botschafter guckt auf seine Schreibmaschine: „Keiner würde glauben, dass ich keinen Labtop mit Internetanschluss habe!“

Von Miriam Bunjes

Die buschigen Augenbrauen des senegalesischen Botschafters rücken enger zusammen. „Das ist nicht dein Ernst“, sagt er zu seinem Buchhalter, einem kleinen Mann mit grauem Anzug und stoischem Blick. Ungehalten trommelt Paul Badji mit seinem Kugelschreiber auf dem Zettel mit der Überschrift Einsparvorschläge. „Und was, wenn wir alle krank werden?“ Die Augenbrauen treffen sich in der Mitte: „Das kostet auch Geld!“

Es ist kalt in der senegalesischen Botschaft in der Argelanderstraße - Bonns schickem ehemaligen Diplomatenviertel. Feuchtkalt. Unter den beige gemusterten 60er-Jahre-Tapeten in Paul Badjis Büro kriecht die Feuchtigkeit in Wellen hoch, und durch den porösen Fensterrahmen dringt ein steter kalter Luftzug. “Meine Regierung will kein Geld mehr in diesen Amtssitz stecken“, sagt Paul Badji und dreht mit einem entschuldigenden Blick zum grauen Buchhalter die Heizung hoch. “Ich soll dieses Gebäude so schnell wie möglich verkaufen und von dem Geld nach Berlin umziehen.“

Genau das versucht er nun seit fünf Jahren. Das diplomatische Parkett verschwindet aus Bonn: Nur die ärmsten der armen Länder stecken hier noch fest. Alle, die konnten, sind vor Jahren in die neue Hauptstadt umgezogen. Mit dem Ergebnis, dass sich für die übrig Gebliebenen, wie Badji es formuliert, „die Katze in den Schwanz beißt.“ Paul Badjis Augenbrauen haben sich wieder von einander entfernt, der Botschafter mag deutsche Sprichworte, auch wenn sie fatalistisch sind.

„Mindestens zweimal im Monat muss ich nach Berlin“, sagt der 51-Jährige. Die Fahrerei koste ihn bestimmt 600 € im Monat. „Wie soll ich für den Umzug sparen?“ Er deutet mit dem Einsparzettel auf die zerbrochenen Fenster im Flur: „So lässt sich das nicht unendlich weiter machen.“

Im dritten Stock des schmalen Betonbaus stapeln sich trotz all der Geldprobleme bereits die Umzugskartons. Es ist still hier unter dem Dach und noch kälter als in Paul Badjis Büro im zweiten Stock. Seit zwei Jahren arbeitet hier niemand mehr. Nur Lydia Rolfenschleger, die rothaarige Sekretärin der Botschaft, kommt hier manchmal zum Nachdenken herauf und wandert dann durch die leer stehenden Büros. „Vor die schimmeligsten Stellen hab ich Kartons gestellt“, sagt sie. Falls doch mal einer komme, der das alles kaufen will.

Früher saßen hier zwei Repräsentanten des senegalesischen Militärs mit fünf Angestellten. Ihre Möbel und Akten haben sie da gelassen, in der Teeküche stehen noch ihre benutzten Kaffeetassen, sie sind von einer dicken Staubschicht überzogen. Für eine Putzfrau ist kein Geld da. Außerdem: „Nächstes Jahr ziehen wir sowieso um“, ruft Paul Badji in den Hall eines der leeren Zimmer hinein: „Sieht doch auch schon so aus.“ Lydia Rolfenschleger boxt ihren Chef liebevoll in die Rippen. „Ja, ja“, sagt sie, „ganz bestimmt“. Die Belgierin will sowieso nicht mitkommen nach Berlin. „Ich werde langsam unflexibel“, sagt sie: „Das ist so, wenn man auf die Sechzig zugeht.“ Und so richtig kann sie es sich nicht vorstellen, dass das nächstes Jahr wirklich klappt. „Ich hoffe es für den Senegal“, sagt sie, und eilt zurück in ihr wärmeres Büro.

„Ich auch“, sagt ihr Chef leise. Schließlich wird der politische Schaden immer größer, denn zwangsläufig kann Paul Badji nicht an allen wichtigen Terminen teilnehmen. „Die sind alle in Berlin“, sagt er und seine Brauen gehen erneut auf Wanderschaft. „Ich muss bestimmt 80 Prozent der Einladungen ablehnen und kann nur an den wichtigsten Terminen teilnehmen.“ Dauerhaft verliere der Senegal seine Stimme in Deutschland.

Manchmal, immer seltener, ist auch noch mal ein Termin in Bonn. Aber hierhin, in die Argelander Straße lasse er die Leute nicht kommen, sagt Paul Badji. Er guckt an seinem eleganten Boss-Anzug herunter. Und dann auf seine Schreibmaschine. Und lacht plötzlich laut auf: „Keiner würde glauben, dass ich im Büro kein schickes Laptop mit Internetanschluss habe.“

Die ganze Geschichte ist der Sprecherin des Auswärtigen Amtes peinlich. „Wir können da nicht viel machen“, stottert sie am Telefon. Finanzielle Hilfe des Bundes würden sich ohnehin verbieten, das wäre ein Eingriff in die Souveränität der Staaten. „Das dürfen wir gar nicht.“ Aber: „Wir helfen so gut es geht.“ Immerhin unterhalte das Auswärtige Amt noch eine Außenstelle in Bonn - extra für die 15 afrikanischen Botschaften. Viel gehe da allerdings nicht mehr, sagt die Sprecherin. „Aber wer nach Berlin umziehen will, hat unsere volle logistische Unterstützung.“

Da. Paul Badji hat unter dem Zeitungsstapel von heute das Bild von seinem Traumhaus in Berlin gefunden. Ein schlichtes 1950er-Jahre Haus in Berlin-Kreuzberg. Drei Millionen Euro soll es kosten. „Wenn wir dieses Gebäude hier loswerden, ist das ein realistischer Preis“, sagt der Botschafter. Und bis dahin? Ein paar Kollegen sind immerhin noch in Bonn, und mit denen ist die Zusammenarbeit auch gut bis sehr gut. „Auch am Telefon kann man auf sich aufmerksam machen. Es ist nur etwas schwieriger.“ Paul Badji ist Optimist - von Berufs wegen.

Die weiße Bürotür öffnet sich mit einem Knarren. Ein junger Mann geht mit schuldbewusstem Gesicht zu Paul Badjis Schreibtisch. Er nestelt an der rot-grün-gelben Flagge Senegals. Da sei jetzt eine Schramme an der Stoßstange, sagt er. „Egal“, sagt der Optimist und zieht seine Augenbrauen auseinander.