Essen kriminalisiert Drogensüchtige

Polizeipräsident fürchtet Zuzug von Drogenkranken nach Essen. Krisenhilfen widersprechen: Seit Jahren sei die Zahl der Süchtigen gleich hoch

RUHR taz ■ Essens Polizeipräsident Herbert Schenkelberg sieht seine Stadt von Drogensüchtigen überschwemmt: „Essen hat eine Sogwirkung auf die umliegenden Städte.“ Weil die auswärtige Szene in Essen besser gesundheitlich und sozialversorgt werde als in ihren Heimatstädten, ströme sie nach Essen. Die örtlichen Hilfszentren könnten dies nicht auffangen.

Doch Schenkelberg sorgt sich vor allem um seine eigene Bilanz: Die Straßenkriminalität stieg in diesem Jahr um 12,6 Prozent. Dies sei die direkte Folge des Zuzugs von auswärtigen Drogenabhängigen: 131 Aufenthaltsverbote an wurden in diesem Jahr ausgesprochen. Ob diese Zahl in der letzten Zeit überhaupt zugenommen hat, kann Polizeisprecher Uwe Klein allerdings nicht sagen. Anlaufstellen für Drogensüchtige können die Wanderung ihrer Klientel nicht bestätigen. „Ich verstehe Herrn Schenkelberg nicht“, sagt Bärbel Marrziniak, Leiterin der Krisenhilfe in Essen. In den städtischen Drogenzentren könnten sich sowieso nur „Einheimische“ beraten und an Therapieplätze vermittelt werden. Selbst das Café, das grundsätzlich auch für Süchtige aus anderen Städten offen steht, „ist fest in Essener Hand“: Bei einer Stichprobe im August seien von 466 KundInnen nur 19 von außerhalb gekommen. Das sind weniger als 4 Prozent. „Seit Jahren kommen gleich viele Menschen zu uns“, sagt Bärbel Marrziniak.

Süchtige aus fremden Städten werden vom Platz verwiesen

Vor zwei Jahren verkündete CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger seine harte Linie gegenüber den etwa 400 Drogensüchtigen in Essen. Seitdem kontrolliert die Polizei die Süchtigen so lange, bis sie aus der Innenstadt verschwinden. Polizeichef Schenkelberg spricht von einem „durchschlagenden Erfolg“ und feierte seitdem die gesunkenen Kriminalitätsraten.

Den plötzlichen Anstieg der Rate können allerdings auch die auswärtigen Drogensüchtigen nicht erklären. Silvia Wilske von der Bochumer Drogenhilfe kann keine Veränderung feststellen. Nach wie vor suchten täglich 150 bis 200 Menschen das Café auf, in den Druckraum kämen 50 Hilfesuchende. „Drogensüchtige haben in fremden Städten keine Chance.“ Die Polizei spreche sofort Platzverweise aus, die Kontrollen seien hart. Nur ganz wenige könnten es sich leisten, zu pendeln, aber Essen sei kein spezieller Anziehungspunkt. „Wir haben hier auch mal Essener.“

Auch die Stadt Duisburg sieht keine Wanderbewegung der Süchtigen. „Seit fünf Jahren haben wir dieselbe Szene“, sagt Dita Gomsers von der DuisburgerDrogenhilfe. Rund 50 drogenabhängige Menschen würden in Duisburg betreut. Nach Ansicht von Gomsers würden sie nicht in die Nachbarstadt pilgern. „Die harte Vertreibungspolitik schreckt alle ab.“

ANNIKA JOERES