Suche nach den Kronzeugen

Prozess gegen Prügelpolizisten endet mit Strafbefehl. Offen ist, ob zudem Anklage wegen Totschlags erhoben wird. Ermittler gehen auch gegen Erfurter Polizeichef vor

Der Hamburger Polizeibeamte Wolfgang S. (41), der Heiligabend 2002 den vermeintlichen Einbrecher Julio V. durch einen Schuss getötet hat, ist gestern wegen Trunkenheit am Steuer und Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 180 Tagesätzen à 20 Euro verurteilt worden. Der Prozess fand quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, da der Angeklagte wegen des Presseauftriebs nicht erschien. Sein Anwalt hatte zuvor hinter den Kulissen mit dem Gericht den Strafbefehl ausgehandelt.

Der 41-Jährige hatte im März mit 1,39 Promille einen Unfall auf der A1 verursacht und die Opfer danach beschimpt und niedergeschlagen. Das eigentliche Interesse galt aber auch gestern weniger dem Randalierer als dem Todesschützen. Denn es steht im Raum, dass der Polizeibeamte bei der Flucht des Einbrecher-Trios Julio V. kaltblütig in den Rücken geschossen und anschließend bei einer Zigarette seinen Kollegen nur gefragt hat: „Ist der ex?“ Der damalige Innensenator Ronald Schill sprach nach einem Treffen mit S. indes von „Notwehr“.

Die Staatsanwaltschaft tut sich schwer, Anklage wegen Totschlags zu erheben, da ihrer Ansicht nach der Ablauf der Ereignisse unklar ist. So hatte sie vor Monaten ein Rechtsmittelersuchen an die Niederlande gestellt, wo der Getötete herstammt. Über die Familie des Toten wollen die Ermittler an die Mittäter gelangen. „Die Eltern bekamen eine halbe Stunde nach dem Vorfall einen Telefonanruf, dass ihr Sohn erschossen worden ist“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger.

Es sei bislang aber nicht gelungen, über die Famile die Komplizen, die Augenzeugen des Vorfalls gewesen seien, zu einer „konsularischen Vernehmung“ zu bewegen. Auch der Versuch, sie bei Straffreiheit zu einer Aussage in Deutschland zu bewegen, sei gescheitert. Bagger: „Die haben eigentlich nichts zu befürchten, das Ganze war ja nichts Dolles – nur versuchter Einbruch.“ Seine Behörde werde diesen Versuch nun in absehbarer Zeit abbrechen. Dann werde auf der Grundlage der „objektiven Beweismittel“ – die gefundenen Patronenhülsen und die Schusskanalrichtung – entschieden, ob Anklage erhoben wird.

Im Ermittlungsverfahren gegen den Thüringer Chef der Bereitschaftspolizei, Roland Richter, wertet die Anklagebehörde zurzeit ebenfalls „objektive Beweismittel“ aus, die bei einer Razzia vorige Woche sichergestellt worden waren. Richter wird vorgeworfen, in das Verfahren gegen die drei Erfurter Polizisten, die auf der Bambule-Demo im November 2002 zwei Kieler Zivilfahnder verprügelt hatten, massiv eingegriffen zu haben. Im Raum steht Strafvereitelung sowie Falschaussage. Bagger: „Wir haben Unterlagen und Aufzeichnungen sichergestellt, die jetzt auf bestimmte Daten ausgewertet werden.“ KAI VON APPEN