kleidungsscheidungen von SUSANNE FISCHER
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Als vor Jahren mal ein Rezensent meinte, an meinen Texten herumnörgeln zu müssen, schrieb er, das Schlimme an ihnen sei, dass sie alle nach dem Muster „nach der Wäsche habe ich nur noch eine Socke vom Paar – o jemine!“ gestrickt seien. Ich war nicht beleidigt, weil einen impotente Klugscheißer bekanntlich gar nicht beleidigen können; ich war nur überrascht. Erstens hatte ich niemals über Socken geschrieben, zweitens wusste ich nicht genau, was er meinte, was sicherlich daran lag, dass er so klug war und ich so dumm, und drittens geht es hier um ein ziemlich wichtiges Problem, das uns alle angeht.

Es gibt pataphysische Versuchsreihen eines Forschers, mit denen bewiesen werden sollte, dass die Waschmaschine das Tor zur Gegenwelt ist, in der immer einer von zwei Socken verschwindet. Allerdings behauptete derselbe, inzwischen mit vielen Preisen ausgezeichnete Wissenschaftler auch, dass es in keinem Haus ein Erdgeschoss gebe. Beweis: Es habe noch niemand bei einem Umzug helfen müssen, bei dem nicht mindestens eine Treppe zu bewältigen war.

Gegenwelt oder nicht, ich bin derzeit Besitzerin von 15 einzelnen Socken, deren Partner abgehauen sind. Sie liegen in einem wüsten Haufen auf meiner Kommode, und ich tue tagelang so, als würde ich sie nicht beachten, um mich dann plötzlich auf sie zu stürzen, weil ich sicher bin, dass mehrere Paare darunter sein müssen. Niemand kann 15 einzelne Socken besitzen, ohne dass irgendwann die Gegenstücke wieder auftauchen. Niemand außer mir.

Die Socken sehen von ferne sehr ähnlich aus, dunkelblau, schwarz und grau, aber bei näherer Betrachtung gibt es farblich keine hundertprozentigen Übereinstimmungen. Finde ich doch zwei Exemplare derselben Farbe, sind die Bündchen unterschiedlich gearbeitet. Ja, das würde vielleicht keiner bemerken in einem Büro, in dem eine Kollegin schon mal mit zwei verschiedenen Schuhen erschienen ist. Aber die Kombination verstößt gegen gewisse Prinzipien. Zum Beispiel gegen das Prinzip, nicht zwei verschiedene Socken zusammen anzuziehen.

Mein prinzipienloser Sohn versuchte, die Gegenwelt auszutricksen, indem er freiwillig zwei verschiedenfarbige Socken mit demselben Ringelmuster anzog. Er hängt einer bizarren Ästhetik an, aber das ist in diesem Fall nicht von Bedeutung. Alles was zählt, ist, dass es ein zweites solches Paar in seinem Schrank geben müsste. Gibt es aber nicht. Es ist weg, und zwar seit dem Augenblick, in dem er das Patchwork-Paar anzog.

Das ist unheimlich. Ich glaube nicht an Waschmaschinengeister und Welten hinter den Spiegeln. Eine Gegenwelt sollte etwas Besseres zu tun haben, als Socken, Erdgeschosse und funktionierende Kugelschreiber einzusammeln und uns mit dem Schrott und guten Freunden in der vierten Etage sitzen zu lassen. Wo soll da der Witz sein? Eine Gegenwelt muss paradiesisch sein, nicht profan. Falls sie wirklich und wahrhaftig blöd genug ist, meine Strümpfe zu beherbergen, hämisch kichernd, wie nur Gegenwelten es können, möge sie doch bitte auch den sockenverachtenden Rezensenten in sich hineinsaugen. Notfalls stecke ich ihn auch persönlich in die Waschmaschine.