wir lassen abreißen
: Ein Jahr auf tiefem Boden

Der Fußballkalender „Anstoß 2004“ stimmt prima auf die Europameisterschaft in Portugal ein – und auf die deutsche Mannschaft

Neues Spiel, neues Glück – neues Jahr, neuer Kalender. Manchmal mischen sich die Dinge – und dann kommt heraus: ein Kalender fürs neue Jahr, gefüllt mit so Allerlei übers gute alte Spiel. Und da das anno 2004 nun schon zum vierten Mal der Fall ist, dass das „Anstoß-Kalenderteam“ aus Nürnberg ein Jahr Fußball auf den Markt bringt, nach Eigenauskunft übrigens der „erste und einzige Kalender Deutschlands für Fußball und Kultur“, darf getrost von guter Tradition gesprochen werden. Wobei Tradition sich bei Tina Schlemmer und Marius Kliesch, den Kalendermachern, keineswegs durch Erstarren in Altgewohntem ausdrückt, sondern durch: pure Inovation. Geboten wird die schon auf der zweiten Seite – und noch bevor 2004 beginnt. Dort bekommen jene, die das Fußballjahr nicht einfach an Wand samt Nagel hängen wollen, endlich eine „Drück-Falz-Knick-Bieg-Einsteck-Durchzieh-und Bastel-Aufstell-Anleitung“. Und siehe da: Das Ding bleibt tatsächlich auch auf glattestem Schreibtisch stehen.

Ansonsten haben die Kalendermacher auf eher Gewohntes gesetzt. Soll heißen: Zwei Tage sind ein Kalenderblatt – und dieses ist, wie immer, gefüllt mit allerlei Kuriosem, Witzigem und Wissenswertem rund um den Freund aus Leder. Nicht wie immer ist allerdings, dass ein paar der Geschichtchen und Anekdötchen nicht mehr ganz so kurios, witzig und wissenswert wirken, wie das noch im letzten Jahr der Fall war, sondern eher bemüht. Beispiele: „Das Ergebnis ist in allererster Linie zweitrangig“, sagt Uns Rudi am 6./7. Februar, was man als milde gestimmter Schiri gerade noch durchgehen lassen kann, ebenso wie das „Ich habe kein Mitleid mit den Spielern. Mitleid ist die Höchststrafe für einen Spieler“ von Günter Netzer am 19./20. Juli. Selbst Berti Vogts, weder Ball- noch Rethorikkünstler, fällt da nicht weiter auf, wenn er am 31. Juli mit der unumstößlichen Wahrheit aufwartet: „Wenn wir Deutschen tanzen, und der Brasilianer tanzt daneben, dann musst du sofort von der Tanzfläche verschwinden.“ Dass auch der berufsmäßige Wortkünstler Marcel Reif es nicht immer besser hinbekommt als der kleine Hans-Hubert, wird am 9./10. Oktober offenbar. „Wenn Sie dieses Spiel atemberaubend finden, haben sie es an den Bron- chien“, kalauert der Starreporter.

Wie gesagt: Den Tatbestand eines Verbalfouls erfüllen all diese Sprüchlein noch nicht, so richtig von den Beinen hauen sie aber auch keinen. Zumal der Boden bisweilen durchaus noch tiefer wird, zum Beispiel, wenn am 13./14. September nach dem Samurai des Fußballs gefahndet – und Pierre Littbarski als solcher geoutet wird. Und zwar weil er einst in Japan gekickt und immer noch „extrem säbelkrumme O-Beine“ hat. Fußball-Insidertum wie dieses ist in etwa so prickelnd wie ein 0:0 zwischen Wacker Burghausen und LR Ahlen. Oder wie das Kalenderblatt am 25./26. Oktober. Frage: Heike auf dem Platz – und keine Heike dabei? Antwort: Wenn der Frauen-Bundesligist Heike Rheine antritt, kann das durchaus geschehen. Haha, Witz komm raus, du bist umzingelt. Kein Entrinnen zwecks Dauerbelagerung gibt es für den Witz gar am 26./27. November, wo der Frage nachgespürt wird, wie man Lederhosen zu tragen habe. Zitiert wird der brasilianische Sachverständige Giovane Elber, der sagen darf: „Lederhosen sind gemütlich. Vor allem ohne Unterhosen drunter.“ Schon wegen folgenden Effekts: „Man kriegt beim Oktoberfest auf dem Klo schneller die Hose auf.“ Was die Kalendermacher mit der Fußball-Volksliedzeile „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ anreichern. Viel mehr als geistiger Dünnpfiff ist das nicht. Leider!

Andererseits: Vielleicht ist das alles ja so gewollt – und die Macher von Anstoß sind absichtlich nicht so inspiriert zu Werke gegangen wie noch im letzten Jahr. Schließlich findet im Sommer die EM statt, bei der auch die deutsche Mannschaft mitwirken darf, zumindest eine Vorrunde lang. Prickelnd wird es bei Völlers Buben, das darf man getrost jetzt schon schreiben, mit Sicherheit auch nicht zugehen. So gesehen ist der Anstoß-Kalender 2004 doch eine recht gute Vorbereitung auf Portugal – und ein Jahr mit dem deutschen Fußball.

FRANK KETTERER

„Anstoß – Der Fußballkalender 2004“. Autoren und Herausgeber: Marius Kliesch, Tina Schlemmer; 12,90 Euro; ISBN 3-00-011179-4; www.fussballkalender.de