Kleine Kurskorrekturen in Guantánamo

Die US-Regierung will einigen der gefangenen mutmaßlichen Terroristen einen Anwalt zugestehen

WASHINGTON taz ■ Die US-Regierung hat in den vergangenen Tagen überfällige Korrekturen im Umgang mit gefangenen mutmaßlichen Terroristen und Taliban-Kämpfern vorgenommen. Da ist zunächst jener Fall, der Amerikaner am ehesten interessiert, da es sich um einen US-Staatsbürger handelt. Yaser Esam Hamdi, ein Mann aus Louisiana, der seit zwei Jahren ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten wird, darf endlich einen Anwalt sehen. Die Bush-Regierung modifiziert damit eine ihrer umstrittensten Anti-Terror-Maßnahmen: Vermeintliche Terroristen per Präsidentendekret als „feindliche Kämpfer“ zu erklären und sie somit unbegrenzt, ohne Rechtsbeistand und Anklage, festzuhalten.

Oberflächlich betrachtet, hat sich die US-Regierung auf ihre Kritiker zubewegt. Sie macht Konzessionen und erfüllt eine zentrale Forderung von Anwälten und Menschenrechtsgruppen. Warum die Bush-Regierung ausgerechnet jetzt einlenkt, gibt das Verteidigungsministerium unverblümt zu. Die Entscheidung wurde gefällt, da Hamdi nicht mehr von geheimdienstlichem Nutzen ist und die Verhöre beendet seien.

Zudem soll der Oberste Gerichtshof milde gestimmt werden. Dieser könnte sich der Rechtslage der „feindlichen Kämpfer“ annehmen. Das Justizministerium hatte die obersten Verfassungshüter gebeten, ihren rechtlichen Segen zu der bisherigen Praxis zu geben, dass Bush als „Kriegspräsident“ das Recht hat, Hamdi seine Verfassungsrechte abzusprechen.

Anwaltsverbänden und Bürgerrechtlern geht die jüngste Korrektur daher nicht weit genug. Sie argumentieren, dass ungeklärt bleibt, wie mit Gefangenen im endlosen Antiterrorkrieg grundsätzlich verfahren werden soll, ob sie sich vor zivilen oder militärischen Gerichten verantworten müssen und ob die neue Regelung auch für andere Amerikaner gilt, die unter gleichen Umständen wie Hamdi interniert sind. „Die Entscheidung macht auf halbem Wege Halt“, sagt Frank Dunham, ein Anwalt, der Hamdi seit Monaten versucht zu verteidigen. Der Präsident der US-Anwaltsvereinigung, Dennis W. Archer, erkennt einen Schritt in die richtige Richtung. Er sei jedoch enttäuscht, dass es sich lediglich um einen willkürlichen Wohltätigkeitsakt handle und nicht um eine Grundsatzentscheidung.

Bewegung ist auch in die Situation der Gefangenen auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo auf Kuba gekommen. Erstmals wird einem ausländischen Häftling ein US-Militäranwalt zur Seite gestellt. Der 26-jährige Australier David Hicks, der Ende 2001 in Afghanistan festgenommen wurde, soll überdies rechtlichen Beistand von einem australischen Verteidiger erhalten. Hicks ist einer von sechs Terrorverdächtigen, die Bush als mögliche Kandidaten für ein Militärtribunal benannt hat.

Durchgesickert war letzte Woche überdies, dass mehr als hundert unschuldige Gefangene in Guantánamo bis Januar freigelassen werden. Auch sollen Gespräche zwischen Washington und London über die Überstellung der neun Briten unter den rund 660 Internierten in ihre Heimat kurz vor dem Abschluss stehen.

Doch auch in Guantánamo folgt die Bush-Regierung weder Völker- noch Kriegsrecht, sondern der Willkür. Das Penta- gon besteht weiterhin darauf, dass der Zugang zu Anwälten nicht vom Gesetz vorgeschrieben ist. „Regierungsermessen geht am entscheidenden Punkt vorbei“, sagt Deborah Pearlstein, Direktorin des „Lawyers Committee for Human Rights“. „Der Punkt ist: Rechtsstaatlichkeit ist eine Frage des Gesetzes und nicht der Gnade.“

MICHAEL STRECK