Neuer Präsident in alten Kleidern

Der Bundesverband der Deutschen Industrie wählt heute Jürgen Thumann zum Amtsnachfolger des Mitbestimmungsgegners Michael Rogowski. Dessen Biografie nährt die Hoffnung, dass sich die aggressiv neoliberale Lobbypolitik ändern könnte

VON HERMANNUS PFEIFFER

Jürgen Thumann heißt der neue Industriepräsident. Die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) wird den selbstständigen Unternehmer heute in Berlin an die Spitze der mächtigsten Wirtschaftsorganisation Deutschlands wählen. Amtsinhaber Michael Rogowski übergibt nach vier Jahren seinen Stab vorzeitig an den von ihm selbst ausgewählten Nachfolger. Trotzdem könne es mit Thumann eine Wende in der BDI-Politik geben.

Gemeinsam mit anderen Spitzenverbänden residiert der BDI im Berliner „Haus der Deutschen Wirtschaft“. Es liegt nahe, ihn für die Spinne im Netz zu halten. Knotenpunkte bilden der Arbeitgeberverband BDA, Banken- und Versicherungslobby sowie die regionalen Handelskammern und ihr Spitzeninstitut, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Zwar steht in der Selbstdarstellung, dass man „die Interessenvertretung der deutschen Wirtschaft“ sei. Tatsächlich aber repräsentiert der BDI vor allem die Interessen der großen Industriekonzerne. Entsprechend tummeln sich an der BDI-Spitze Repräsentanten von BASF, MAN, Oetker oder Thyssen-Krupp.

Zwar stellt der Mittelstand die Masse der Mitglieder, spielt aber im politischen Tagesgeschäft und in der Strategie eine Nebenrolle: Der BDI setzt auf einen radikalen neoliberalen Kurs. Für Gewerbe und Einzelhandel bleiben andere, weitgehend wirkungslose Verbände, die lieber die Binnennachfrage ankurbeln würden, als permanent an der Kostenschraube zu drehen, wie es die exportorientierte BDI-Politik fordert; auch im grenzüberschreitenden Handel, in Schifffahrt und Dienstleistungsbranche werden moderatere Töne als vom BDI angeschlagen, etwa gegenüber der „Dritten Welt“.

Mit dem neuen Präsidenten könnte sich der Wind drehen. Thumann ist kein bezahlter Manager, sondern ein klassischer Unternehmer. Als Chef einer Familienfirma mit 2.000 Mitarbeitern könnte er eine moderatere Strategie einläuten – weg von der Fixierung auf die Großindustrie, hin zur Stärkung von Mittelstandspositionen. Selbst im Staat scheint Thumann nicht den bösen Erzfeind zu sehen, der vollständig aus dem Wirtschaftsleben verschwinden muss. Zusammen mit NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) und RAG-Chef Werner Müller fordert er von der Berliner Politik „schnelles Handeln“ zur Sicherung der Rohstoffversorgung für die Metall verarbeitende Industrie. Die durch den China-Boom ausgelöste Erz- und Stahlpreisexplosion „bedroht vor allem kleine und mittlere Unternehmen“, warnt Thumann.

Anderseits repräsentiert Thumann eine global ausgerichtete Firma, und er ist ein Ziehkind des Hardliners Rogowski, mit dem er bislang offensichtlich im Zweifel an einem Strang zog. Die Kampagne des bisherigen Amtsinhabers gegen die paritätische Mitbestimmung machte sich Thumann zu Eigen, „die deutsche Mitbestimmung versteht im Ausland niemand“, klagt er. Rogowski hatte zuvor das Mitspracherecht der Beschäftigten, immerhin ein Herzstück unseres korporatistischen Kapitalismus, als „Irrtum der Geschichte“ bezeichnet und dafür heftige Kritik auch aus der Wirtschaft geerntet.