„Bleibt bis zum Schluss“

Oppositionsführer Juschtschenko setzt weiter auf den Druck der Straße. Kutschma fordert Ende der Blockaden. Regierungspartei droht mit Abspaltung. Parlament erklärt Wahlergebnis für ungültig

KIEW ap/dpa/taz ■ Der offene Machtkampf in der Ukraine geht in die zweite Woche. Entgegen ersten Entspannungssignalen zeichnete sich gestern wieder eine Verhärtung ab: Oppositionskandidat Wiktor Juschtschenko forderte zehntausende Anhänger auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz auf, den Druck der Straße bis zur Ansetzung einer Wiederholung der Wahl aufrechtzuerhalten. Dagegen bezeichnete der scheidende Präsident Leonid Kutschma die Blockaden als rechtswidrig und verlangte ihr Ende. Im Osten erklärten Gefolgsleute des offiziellen Wahlsiegers Wiktor Janukowitsch, sie würden unter einem Präsidenten Juschtschenko eine „eigene südöstliche Republik“ in einem Bundesstaat Ukraine ausrufen.

Der frühere Außenminister Boris Tarasjuk bat Bundeskanzler Gerhard Schröder, auf Russlands Präsident Wladimir Putin einzuwirken, „den Griff um die Ukraine zu lockern“. Der Oppositionspolitiker erklärte in Kiew: „Wir würden uns wünschen, dass Deutschland starken Einfluss nimmt in diesen entscheidenden Stunden für die ukrainische Geschichte.“ Juschtschenko erinnerte seine Anhänger an die Demonstrationen in Georgien vor einem Jahr. „Ihr werdet mich fragen, wie lange ihr hier bleiben sollt, ob es sich lohnt, hier zu bleiben“, sagte er. „Selbst die georgische Revolution hat drei Wochen gedauert. Ich bitte euch, ich fordere euch auf: Bleibt bis zum Schluss.“ Zugleich verlangte er eine Wiederholung der Wahl am 12. Dezember. Rückendeckung dafür erhielt er am Samstag vom Parlament: 255 von 429 anwesenden Abgeordneten erklärten das bisher verkündete offizielle Ergebnis für ungültig. Das Votum ist rechtlich nicht bindend. Dennoch dürfte es Einfluss auf den Obersten Gerichtshof haben, der ab heute über die Gültigkeit der Wahl berät. Die Zentrale Wahlkommission erklärte, sie werde sich nicht gegen einen neuen Wahlgang stellen.

Der niederländische Außenminister und amtierende EU-Ratspräsident Ben Bot sprach sich ebenfalls für eine Wahlwiederholung noch 2004 aus.

Janukowitschs Partei der Regionen hielt unterdessen in Sewerodonezk eine Versammlung mit 3.500 Delegierten ab, um über einen Autonomiestatus für fast den gesamten Osten der Ukraine zu beraten. Janukowitsch und der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow nahmen an der Sitzung teil. Luschkow bezeichnete die Proteste in Kiew als „Hexensabbat in Orange“. Orange ist die Farbe der Opposition. Diese erklärte hierzu, sie beabsichtige, Strafanzeigen gegen die Gouverneure von Charkiw, Donezk und Luhansk zu erstatten. GB

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