BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Bei den Filmemachern in der Moritzbastei

Leipzig in den 80ern: Auch ich fälschte. Denn ich wollte unbedingt lateinamerikanische Regisseure kennen lernen

In wenigen Tagen endet die Anmeldefrist für die Akkreditierung zur Berlinale. Wie bei jedem Festival mit rotem Teppich und der Aussicht auf tolle Filme ist die Nachfrage nach einer Pressekarte groß, um nicht 140 Euro für eine normale Dauerkarte zahlen zu müssen. Schwierig, schwierig. Ein Presseausweis reicht natürlich nicht für eine Journalistenakkreditierung für 50 Euro. Jeder Antragsteller braucht eine Bestätigung einer Zeitungsredaktion, eines Fernseh- oder Radiosenders, dass er wirklich einen redaktionellen Auftrag für die Berlinale hat.

Deshalb versuchen alle Jahre wieder jede Menge (noch) unbekannte Filmemacher, ihr eigenes Drehbuch zu schreiben und auf vermeintlich clevere Art an eine Pressekarte zu kommen. Kürzlich sprach mich ein talentierter Jungfilmer an, der im vergangenen Jahr beim Vorzeigen der Karte des Freundes eines Freundes mimische Höchstleistungen vollbracht hatte, um halbwegs dem Foto des Freundes des Freundes zu entsprechen.

Weil er nicht weiß, ob das diesmal wieder klappt, schrieb er mir eine Mail. „Sag mal, du gehörst ja zur Presse, nich, und da ich ja so ausgeschlafen bin, überleg ich gerade, wie man das anstellt, dass man für die Berlinale eine Akkreditierung bekommt. Was man dazu auf der Webseite findet, hört sich nicht so an, als könnte man da pfuschen. Kennst du dich damit aus?“

Aber hallo! Und ob ich mich damit auskenne. Das Fälschen von Filmfestivalakkreditierungen ist quasi eine meiner Spezialitäten. Okay, das liegt jetzt schon etwas zurück und spielt in der DDR, wo ja selbst das Fälschen von Wahlen möglich war. Aber auch da gab es ein internationales Filmfestival, die Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche. Statt Goldener und Silberner Bären wurden und werden da zwar nur Tauben vergeben, aber auch dort war eine Akkreditierung eine große Herausforderung.

Es war Mitte der 80er-Jahre und ich studierte an der Karl-Marx-Universität Spanisch, als sich jedes Jahr im Oktober in der Leipziger Tieflandsbucht internationale Regisseure aus Ost und West ein cineastisches Stelldichein gaben. Ich war fest entschlossen, meine Spanischkenntnisse mit Hilfe von südamerikanischen Regisseuren, die en masse kamen, zu verbessern. Ein Schelm, wer anderes denkt.

Weil man im Kino schlecht reden kann, zog es mich in die „Moritzbastei“, den Studentenclub hinter der Uni, wo sich die Regisseure nach den Premieren die Kante gaben. Nur: Für Studenten war der Club in der Zeit des Festivals absolut tabu. Feindberührungen sollten ausgeschlossen werden. Also hieß das Zauberwort Akkreditierung.

Nun traf es sich gut, dass eine Freundin Fotografin war. Sie lichtete eine Akkreditierungskarte vom Vorjahr ab, von der wir das Foto abgerissen und den Namen rausgekratzt hatten. Ich suchte ein Passbild raus, auf dem meine slawischen Backenknochen besonders gut zur Geltung kamen, und gab mir einen vertrauensvoll klingenden osteuropäischen Namen. Zack das neue Foto drauf, bumm der neue Name dazu, das Ganze noch mal fotografiert und in eine Klarsichthülle rein – fertig war meine Akkreditierung.

Siegessicher stand ich am ersten Festivalabend vor der „Moritzbastei“, am Revers meine offizielle Zulassung. Der Typ am Einlass schaute mich an. „Wir kennen uns doch!“, sagte er.

Klar kannten wir uns. Ich hatte ja ein halbes Jahr lang dort am Tresen gearbeitet. Das lag erst kurze Zeit zurück und zudem war ich unangenehm aufgefallen, weil ich immer über die frühen Schließzeiten gemeckert und heimlich Wein verkauft hatte. Ich tat so, als verstünde ich nichts. Immer wieder hielt er meine Akkreditierung unters Licht, verglich das Foto mit meinem Gesicht und sagte ein ums andere Mal: „Das gibt’s doch nicht.“ Ich hielt seinem Blick tapfer stand, und schließlich musste er mich reinlassen.

Nach kurzer Zeit saß ich da, wo ich hinwollte: an einem Tisch mit lateinamerikanischen Regisseuren. Als ich mich vorstellte, schauten sie mich irritiert an. Ich hatte vergessen, dass ich als jemand anderes akkreditiert war. Es wurde ein lustiger Abend.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zu Regisseuren? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE