„Die Deutschen sollten sich aus dem Irak heraushalten“, sagt Herr Steinbach

Dem Irak drohen Bürgerkrieg und Staatszerfall. Das würde die gesamte Region destabilisieren

taz: Herr Steinbach, können Sie sich vorstellen, dass der Irak in zehn Jahren eine stabile Demokratie mit Erdölwohlstand ist?

Udo Steinbach: Vorstellen kann ich es mir, aber nur in einem Zeitraum von zehn Jahren. Die Neugestaltung des Iraks müssen wir doch vor dem Hintergrund sehen, dass es sich um einen gescheiterten Staat („a failed state“) handelt. Irak ist bislang immer ein Gebilde gewesen, das von einer starken Zentralregierung beherrscht werden musste – aufgrund der ethnischen und religiösen Spannungen. Die Saddam-Regierung ist nun weg, und jetzt bedarf es der Standortbestimmung vieler religiöser und ethnischer Gruppierungen, wie sie sich die Zukunft des Landes vorstellen. Das mag gelingen, aber es gibt auch Indizien für das Gegenteil.

Welche sind das?

Das sind politische Kreise in Washington, die tatsächlich mit der Idee spielen, drei Staaten auf dem irakischen Territorium zu errichten – eine Idee nach dem Muster „Teile und herrsche“. Zudem ist das eine Lösung, die auch den israelischen Interessen entgegenkommen würde. Je mehr Iraks es gibt, umso sicherer würden sich die Israelis fühlen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein Zerfall des Iraks von anderen regionalen Mächten unterstützt werden könnte.

Wie würden sich Iraks Nachbarstaaten dann verhalten?

Die Türkei wartet ab, welche Entscheidung die irakischen Kurden fällen, ob sie im irakischen Staat bleiben oder ob sie ein hohes Maß an Autonomie fordern werden, was schwer akzeptabel für die Türkei sein würde. Die Türkei hat auch ökonomische Interessen im Norden des ehemaligen Iraks, insbesondere an den Erdölquellen von Mossul und Kirkuk. Für den Iran könnte es auch zu einer Konkurrenz des Schiitentums kommen: Die Iraner, die seit dem Beginn der Islamischen Republik immer wieder den Anspruch erhoben haben, die Vormacht der Schiiten in der Welt zu sein, könnten sich mit den Ajatollahs in Nadschaf anlegen. Ihnen könnte missfallen, dass sich jetzt ein moderner, vielleicht sogar demokratischer Staat Irak entwickelt, der von konkurrierenden Schiiten geführt wird.

Sehen Sie eine Gefahr, dass es zu einem lang anhaltenden Bürgerkrieg kommt?

Das ist eine Variante, der wir entgegensehen müssen. Die entscheidenden Fragen sind: Wie viel Religion? Welche religiöse, welche ethnische Gruppe soll den Irak am Ende beherrschen? Jetzt hat man die Amerikaner im Land und eine provisorische Regierung. Dagegen richtet sich momentan der größte Unmut, weil es heißt, dass sie nicht von den Irakern gewählt worden sei. Spannend wird es, wenn der Übergang in die irakischen Hände deutlicher wird.

Was bedeutet das?

Dann will ich nicht ausschließen, dass es zu einem Anstieg an Gewalt kommt. Keiner kann dann ausschließen, dass es nicht zu einer chaotischen Bürgerkriegssituation kommt, die dadurch genährt werden könnte, dass Regionalmächte ihr Süppchen im Irak zu kochen versuchen. Einen Zerfall des Landes mit einer Destabilisierung der gesamten Region ist auf jeden Fall möglich. Und dann wird auch eine Macht wie Israel berührt – noch eine Islamische Republik in der Region würden die Israelis kaum ertragen wollen.

Würden die USA dann nicht den Iran militärisch in die Zange nehmen?

Sie würden gerne, aber sie werden es wohl nicht tun. Der Iran ist für die US-Politik am Ende vielleicht sogar eine größere Herausforderung als der Irak. Iran ist ein volkreiches Land, hat eine Tradition der Herausforderung Amerikas. Die Islamische Republik hat zum Beispiel den internationalen Terrorismus unterstützt. Zudem scheint der Iran eine Macht zu sein, die sich tatsächlich bemüht, Massenvernichtungswaffen, auch Nuklearwaffen, zu erwerben. Also hier wird es wirklich ernst für die Amerikaner. Zugleich ist die US-Politik in einem Dilemma, denn solange man im Irak keine klaren Verhältnisse hat, weiß die Regierung in Washington, dass die Iraner ihre Karten im Irak spielen könnten – sehr zum Nachteil der Amerikaner. Momentan sind die USA darauf aus, beim Iran klüger vorzugehen, als man das im Falle des Iraks getan hat.

Was meinen Sie damit?

Die USA werden zunächst einmal abwarten, in welche Richtung sich der Iran entwickelt. Ich glaube, dass die Vereinigten Staaten eigentlich ganz anders, nämlich viel militanter mit dem Iran umgehen wollen. Aber die Europäer ziehen da nicht mit und bilden hier – ausnahmsweise – ein Gegengewicht.

Also kein Krieg gegen den Iran?

Nicht, solange die US-Initiativen im Irak unklar sind. Selbst wenn aus dem Irak drei Staaten gebildet werden sollten – also auch ein schiitischer Staat –, bedürfte dies einer Kooperation von Seiten der Iraner. Auch das untersagt im Augenblick den Amerikanern, irgendeine dramatische Maßnahme gegen die Islamische Republik zu unternehmen.

Der Nato-Generalsekretär hat das Bündnis um militärische Unterstützung für den Irak gebeten. Sollten die Deutschen in den Irak gehen?

Nein, Deutschland sollte sich im Irak militärisch raushalten Aber entwicklungspolitisch und wirtschaftlich könnte viel gemacht werden. Allerdings wohl erst dann, wenn die Vereinten Nationen stärker involviert sind. Aber selbst dann hängt es davon ab, ob die Iraker die Situation im Land als Besatzung empfinden.

INTERVIEW: ANDRÉ BERTHY