Bewegte sind stehen geblieben

Vor 14 Jahren war Erster Weiblicher Aufbruch (EWA) für Feministinnen erste und beliebte Anlaufstelle im Osten der Stadt. Heute wird das Frauenzentrum in der Szene nur noch Grauenzentrum genannt

von SIMONE SCHMOLLACK

Das Licht ist gedämpft, die Luft abgestanden und der Tresen verwaist. Wenn hinten aus dem Büro nicht eine weibliche Stimme am Telefon und aus dem Keller Trommelklänge dringen würden, könnte man glauben, das Frauenzentrum EWA in Prenzlauer Berg habe geschlossen. Aber es ist ein ganz normaler Abend an einem ganz normalen Donnerstag.

Nach einer Weile ertönt im Keller ein letzter Trommelschlag, kurz darauf stehen sechs Frauen im Raum, bestellen Wasser, Kaffee und Sekt. Die Kursteilnehmerinnen gönnen sich eine Pause, um eine halbe Stunde später noch mal alles aus sich herauszuschlagen. Verschwinden sie erneut unter der Erde, zieht sich die Frau hinter dem Tresen erneut ins Büro zurück.

Das sind die Abende bei EWA. Montags und dienstags Computertraining, Sprachen, Gymnastik, Karate, donnerstags Yoga und Trommeln, samstags Tanz. Dazwischen Lesungen, Vorträge, Beratungen und Informationsveranstaltungen zu Hartz IV, lesbischen Kinderwünschen, Gewalt gegen Frauen. Das Angebot ist breit gefächert: Kultur, Literatur, Sport, Bildung, Politik. Für Mädchen ab 10 und Seniorinnen über 70. Es gibt eine Bibliothek und eine kleine Galerie im Café. EWA will eine überregionale Anlaufstätte sein. Nach aufreibenden Protesten im Sommer ist inzwischen auch die Finanzierung für 2005 geklärt, die nun weniger Kürzungen vorsieht als geplant. Aber wer außerhalb des Kurs- und Sportangebots bei EWA reinschaut, wird einen schalen Nachgeschmack und die Frage nicht los: Ist das Frauenzentrum noch zeitgemäß?

„Die Kurse sind den heutigen Bedürfnissen angepasst“, sagt EWA-Mitarbeiterin Rita Lehn. Beschäftigte sich der Computerkurs früher mit Windows, wird heute der Umgang mit dem Internet gelehrt, wurde vor Jahren nur Englisch gegeben, sollen demnächst Französisch und Spanisch hinzukommen. Arbeitsrechtliche und soziale Themen werden stärker bedient als Seidenmalerei und die Schmuckwerkstatt. „Hartz IV und die Angst vor der Zukunft treiben die Frauen mehr denn je um“, bekräftigt Rita Lehn. So wurde eigens eine Beraterin engagiert, die beim Ausfüllen der Anträge für das Arbeitslosengeld II hilft.

Bieten Volkshochschule, Arbeitsämter und verschiedene Beratungsstellen nicht ähnliche Unterstützung an? „Das tun sie, ja“, sagt Rita Lehn. „Aber die Frauen, die zu uns kommen, suchen den geschützten Raum.“ Vico vom Trommelkurs fügt hinzu: „Ich komme seit 14 Jahren hierher, vor allem, weil hier keine Männer sind. Das Haus ist fast wie eine Familie.“ Ein Drittel der Besucherinnen ist laut einer Erhebung von EWA lesbisch.

EWA leitet sich aus Erster Weiblicher Aufbruch ab und wurde im April 1990 als erstes Frauenzentrum im Osten der Stadt gegründet. Damals bot es mit seinen 400 Quadratmetern und einer feministischen Idee Platz für diejenigen, die in der DDR vergeblich auf eine solche Einrichtung gewartet hatten. Das Frühstück war immer überdurchschnittlich besucht, Mütter saßen neben Kinderlosen und Lesben, bei Politdebatten platzten die Räume aus den Nähten. Heute öffnet das Frauen- und Kommunikationszentrum, wie sich EWA nennt, erst nachmittags, das Café ist längst keine Anlaufstätte mehr, Mütter mit Kindern sucht man vergeblich.

Laut Statistik fanden im vergangenen Jahr über 17.000 Frauen den Weg in die Prenzlauer Allee 6. Zu Lesungen kommen manchmal nur zwei oder drei, beim Rückentraining finden sich schon mal acht zusammen. Die samstäglichen Diskotheken werden fast nur von Lesben besucht, viele von ihnen beklagen eine gewisse Rückwärtsgewandtheit. „Wenn mir heute eine Debatte darüber aufgezwungen wird, ob ich Ingenieurin oder Ingenieur bin, habe ich das beklemmende Gefühl, hier ist die Zeit stehen geblieben“, sagt Andrea Meier. In der Szene wird EWA auch Grauenzentrum genannt.

Aus dem Aufbruch ist ein Abbruch geworden, von der Gründungseuphorie ist wenig geblieben. EWA sei im Alltag angekommen, sagt auch Mitarbeiterin Rita Lehn. Aber warum sieht der so aus, dass im Sommer kein Kaffeetisch vor dem Laden zum Verweilen einlädt und die Angebotspalette mitnichten außergewöhnlich erscheint? „Rundherum sind Cafés entstanden, wo sich Frauen treffen können, für Kinder gibt es bessere Spielmöglichkeiten als bei uns“, sagt selbst Rita Lehn. EWA wolle alternative Lebensqualitäten für Frauen entwickeln, heißt es in der Selbstdarstellung. Von Alternativen ist EWA weit entfernt.