happy gerüchtetag von JOACHIM SCHULZ
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Es klingelt am helllichten Nachmittag, und als ich die Tür öffne, grinst mich mein alter Freund Raimund an. „Mon vieux!“, sagt er, breitet die Arme aus und herzt mich: „Ich wünsche dir Gesundheit und ein langes Leben!“

Ich frage mich, was er mit dieser Begrüßung von fast chinesischer Höflichkeit wohl bezwecken mag. Braucht er Geld? Einen Renovierungshelfer? Einen Schwiegermutterablenker? Er indes drängt sich ohne weitere Erklärung an mir vorbei in den Flur. „Gibt’s Kuchen?“, fragt er. „Kuchen?“, frage ich verdutzt zurück. „Ja, sicher“, strahlt er, „Geburtstagskuchen!“ Ich weiß nicht, wovon er spricht, und sage: „Du hast heute Geburtstag?“ Er aber schüttelt den Kopf: „Ich? Quatsch! Du!“ Das allerdings müsste ich doch wissen, oder? „Du irrst dich“, belehre ich ihn mithin, „ich habe heute nicht Geburtstag.“ So leicht hingegen ist Raimund nicht zu überzeugen. „Bitte schön!“, beharrt er, nachdem er seinen Kalender aus der Jackentasche gefummelt hat: „Hier steht’s!“ Doch diesen handschriftlichen Eintrag kann ich selbstverständlich nicht als Beweis akzeptieren. „Meinetwegen“, sage ich, „aber …“

In diesem Augenblick werde ich durch ein erneutes Klingeln unterbrochen. Als ich die Tür aufgemacht habe, kommen Beate und Luis hereingeschneit. Sie haben eine Himbeertorte dabei. „Herzlichen Glückwunsch!“, gratulieren sie, und Raimund murmelt: „Na, bitte! Ich hab’s doch gewusst!“ Allmählich wird mir die Angelegenheit unheimlich. „Ich habe heute nicht Geburtstag!“, rufe ich verzweifelt, doch niemand nimmt mich ernst. „Na, na!“, sagt Beate, bevor sie mir einen Kuss auf die Wange drückt: „Ein Kerl wie du braucht sich doch nicht dafür zu schämen, ein läppisches Jahr älter geworden zu sein!“, und Luis bestätigt: „Genau!“, während er in die Küche strebt, um Kaffee zu kochen.

Es kommen weitere Gäste. Ich weiß nicht, wer dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat – auf jeden Fall hat es sich unter allen Freunden herumgesprochen. Und Widerstand scheint zwecklos zu sein. Der Tisch wird gedeckt, der Kaffee dampft, die Torte wird angeschnitten. „Ich habe nicht Geburtstag, wirklich nicht!“, flüstere ich noch mehrfach. Doch mittlerweile halten die Anwesenden das für einen etwas schal gewordenen Running Gag und grinsen nur noch milde. „Also ich“, raunt Raimund mir zu, „freue mich schon, in drei Wochen ebenfalls nicht Geburtstag zu haben!“

Als die Liebste von der Arbeit kommt, ist die Party bereits in vollem Gang. Man hat Sekt und Bier in einem nahen Getränkemarkt besorgt und im Wohnzimmer Platz zum Tanzen geschaffen. „Was ist denn hier los?“, fragt sie verdattert, und ich erwidere: „Meine Geburtstagsparty!“ – „O Gott!“, keucht sie und erbleicht, weil sie wohl einen Augenblick lang ernstlich befürchtet, sie könnte meinen Jubeltag vergessen haben. Dann aber besinnt sie sich und sagt: „Du hast doch überhaupt nicht Geburtstag?!“ Ich nicke und antworte: „Natürlich nicht. Aber glaub mir, es ist unmöglich, das diesen Menschen zu verklickern.“ Und weil sie das zwar zunächst bezweifelt, bald aber feststellt, dass ich die Wahrheit sage, beschließen wir, der Party ihren Lauf zu lassen und mitzufeiern. Denn etwas anderes bleibt uns ja sowieso gar nicht übrig.