Elefanten in der Dunkelkammer

Heute gehen die Geheimverhandlungen im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag weiter. Die Einigungschancen über ein Dutzend Gesetze sind offen. Eins scheint sicher: ein Elefantentreffen zwischen Schröder und Merkel

AUS BERLIN HANNES KOCH

In einem kleinen Berliner Fotogeschäft spiegelt sich die große Politik. Wenn der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat heute seine Klausur über die rot-grünen Reformgesetze fortführt, wird Fotodesigner Dirk Liebert* sie mit Interesse verfolgen. Entscheidet sich dort doch möglicherweise, ob der Fotohändler sein Geschäft bald wieder schließen muss. Denn auch die neue Handwerksordnung hängt im Vermittlungsausschuss am seidenen Faden.

Noch läuft alles gut in Lieberts Laden. Fast alles. Die Kunden kommen, die Arbeit macht Spaß. Zwei Mittdreißiger haben sich dort selbstständig gemacht. Sie schießen Porträts, nehmen Passbilder auf und entwickeln Urlaubsfilme. Fünf Teilzeitbeschäftigte hängen an der Existenzgründung von Dirk Liebert.

Das ist die Zukunft, finden alle – außer der Handwerkskammer Berlin. Die hat unlängst einen Brief geschickt. „Sehr geehrter Herr Liebert“, heißt es da, „sollten Sie die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle nicht schaffen können, werden Sie Ihre Tätigkeit im handwerklichen Bereich sofort einstellen.“

So sieht die Gegenwart aus. Die aus der mittelalterlichen Zunftordnung geborenen Handwerksgesetze bereiten Gewerbetreibenden immer wieder große Probleme – wenn diese sich nicht der jahrelangen Drangsal der Vorbereitung auf die Meisterprüfung unterziehen wollen. „Warum sollte ich das tun?“, fragt Liebert, „ich beherrsche mein Geschäft auch so.“ Auch ohne den so genannten Meisterzwang.

Das Thema „Meisterzwang“ ist ein gutes Beispiel für das, was im Augenblick auf höchster deutscher Politikebene abläuft – und nun im Vermittlungsausschuss gipfelt. Die rot-grüne Bundesregierung versucht, einige veraltete Regelungen abzuschaffen oder zu reformieren – dazu gehören der Meisterzwang und die Handwerksordnung, die über Dirk Lieberts Existenz entscheidet. Rot-Grün will so neue Jobs schaffen. Doch die Union, die im Bundesrat über die Mehrheit der Ländersitze verfügt, blockiert – deswegen muss nun der Vermittlungsausschuss klären, was sein darf und was nicht. Heute soll die letzte Sitzung beginnen. Möglicherweise wird aber noch bis kommende Woche in langwierigen Nachtsitzungen weiter verhandelt. Ein ElefantInnentreffen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und CDU-Chefin Angela Merkel gilt als sicher. Es soll spätestens am nächsten Montag stattfinden.

Im geheim tagenden Vermittlungsgremium zwischen Bundesrat und Bundestag („Dunkelkammer“) stehen ein Dutzend Gesetze mit einem Wert von zig Milliarden Euro zur Debatte (siehe Kasten).

Entscheidender Streitpunkt zwischen Regierung und Opposition ist die Steuerreform. Rot-Grün will die Konjunktur unterstützen, indem man den Konsumenten mehr Geld für den Einkauf gibt. Jahrelang hat sich die Union ebenso für niedrigere Steuern eingesetzt. Doch jetzt passen ihr die Rahmenbedingungen nicht: Die Regierung nehme zu viele Schulden auf, lautet das meistbemühte Gegenargument. Der wissenschaftliche Sachverstand der Republik hingegen hat die Frage längst entschieden: Die Steuersenkung fördere das Wachstum – basta.

Auch bei einer letzten Vorbereitungssitzung ist es den Verhandlern gestern nicht gelungen ist, mittels Subventionsabbau eine ausreichende Gegenfinanzierung für die Steuerreform zu konstruieren. Man konnte sich nur darauf einigen, 2004 maximal 1,2 Milliarden Euro im Bundeshaushalt zu kürzen. Darin enthalten ist die Reduzierung der Eigenheimzulage um zwölf Prozent. Weil beide Seiten jeweils an drei Punkten Recht auf Schonung beanspruchen, fließen die Regionalisierungsmittel für die Bahn weiter. Das Plenum des Vermittlungsausschusses kann nun darüber hinausgehen und mehr sparen – aber wird man das auch tun?

Und so geht es weiter von Punkt zu Punkt. Sollten der Vermittlungsausschuss heute und die Spitzenkräfte in der kommenden Woche den Dissens nicht aus dem Weg räumen können, droht eine Situation wie im letzten Jahr der Kohl-Ära. Damals verhinderte SPD-Chef Oskar Lafontaine mit der sozialdemokratischen Ländermehrheit die große Steuerreform der Union. Der Unterschied: Die aktuelle Blockade könnte Jahre dauern.

* Name geändert