Sehr langsame Brüter

Seit einem Jahr will China deutsche Nuklearanlagen kaufen. Erst jetzt hat Rot-Grün damit ein Problem

VON BERNHARD PÖTTER

Die Chinesen wollen nicht nur die Atomanlage in Hanau, sondern auch den Reaktorkern von Kalkar kaufen? „Quatsch“, befand Bundeskanzler Schröder vor dem SPD-Parteivorstand am Montag. Es gebe dazu gar keine Anfrage.

Das ist die Wahrheit. Aber höchstens die halbe. Und die Erklärung passt zu den Ungereimtheiten, die den geplanten Export von Atomtechnik nach China begleiten. Nach Aussagen verschiedener Quellen in Regierung, Parlament und Ministerien ist so viel klar: China hat versucht, an deutsche Nukleartechnik zum Schnellen Brüter zu kommen; der Kanzler war auf seiner China-Reise darüber offenbar nicht voll informiert; unklar ist nach wie vor, was China mit der Anlage aus Hanau und den Brennstäben aus Kalkar vorhat.

Bereits Ende 2002 zeigte die chinesische Seite reges Interesse an den 1,6 Tonnen Plutonium, die für den nie gestarteten Schnellen Brüter von Kalkar gedacht waren und seitdem in der MOX-Anlage in Hanau gelagert werden. Nach Informationen von „Spiegel online“ besuchten chinesische Delegationen in dieser Sache RWE in Essen, Siemens und die MOX-Anlage in Hanau. Im Dezember 2002 stellten dann chinesische Experten bei der deutschen Botschaft in Peking eine informelle Voranfrage – keine Anfrage, wie Schröder betont: Wie würde Deutschland reagieren, wenn China diesen „Atomkern“ kaufen wollte? Der Bericht aus Peking ging an die Ministerien für Wirtschaft, Forschung, Umwelt, das Auswärtige Amt und das Kanzleramt. Der zuständige Minister für Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, lehnte ab: Der Aufbau eines Schnellen-Brüter-Programms in China war ihm nicht geheuer. Der Export einer Nukleartechnik, die in Deutschland als zu teuer und unsicher gescheitert war, wäre politisch nicht durchzuhalten.

Offenbar fand aber diese inoffizielle Anfrage nicht Eingang in die Unterlagen, die der Kanzler auf seinen Flug nach China mitnahm. „Im Vorfeld der Reise war von dem Kern nie die Rede“, heißt es in der Regierung. SPD-Vorstandsmitglied und Energieexperte Hermann Scheer sagt: „Ich habe von der Kalkar-Sache zum ersten Mal am Montag im Vorstand gehört. Und ich hatte den Eindruck, Schröder wusste es selbst vorher nicht.“

Die Experten rätseln, was China mit dem Kalkar-Kern und der MOX-Anlage überhaupt anstellen will. Das Land betreibt bisher acht Atomkraftwerke, aber keinen Schnellen Brüter. Nach Informationen der Greenpeace-Atomexpertin Susanne Ochse hat das Land schon 1996 den Einstieg in die Schnelle-Brüter-Technik verkündet. Doch nach Problemen beim Bau und bei der Finanzierung baut das Land nun seit 2002 an einem solchen Forschungsreaktor. Doch für die kleine Anlage mit einer Leistung von 30–60 MW ist der Kalkar-Kern, der für eine 300-MW-Anlage entworfen wurde, kaum zu gebrauchen. Und auch eine MOX-Fabrik braucht man eigentlich erst, wenn bereits für ein paar Jahrzehnte Schnelle Brüter gebrütet haben und ihr Plutonium in einer Wiederaufbereitungsanlage (WAA) so behandelt wurde, dass die MOX-Fabrik daraus wieder Brennstoffe macht.

China ist Atommacht. Das Land braucht also keine Hilfe beim Bau der Atombombe. Theoretisch könnte die Hanauer Anlage sogar im Gegenteil dazu benutzt werden, um überschüssiges Plutonium aus der Waffenproduktion in Brennelemente für zivile Kraftwerke umzuwandeln. Dieses Argument hat auch Kanzler Schröder als Grund für den Export angeführt. Auch die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) stützt diese These. China wolle sein Atomwaffenprogramm „abspecken“, sagt Anette Schaper von der HSFK. „Eine kleine WAA“ habe das Land bereits.

Scheer widerspricht: Anders als in Russland, wohin die Hanauer Anlage 2000 verkauft werden sollte, gebe es in China nicht so viele Nuklearwaffen, dass die Führung sie abrüsten müsse. Auch Greenpeace sieht keinen zivilen Nutzen, sondern höchstens Hilfe beim Militärprogramm: „Eine Anlage wie Hanau erleichtert den Umgang mit Plutonium“, sagt Ochse.

Was wollen die Chinesen dann mit der Anlage? Know-how für übermorgen sammeln, meinen die Kritiker. „Wer wie die Chinesen ein geschlossenes Atomprogramm aufbauen will“, sagt Scheer, „für den ist der Kauf einer MOX-Anlage eine Zukunftsinvestition.“ Vor allem, wenn sie zum „Schnäppchenpreis“ zu bekommen sei.