steuern und soziales
: Reformen trotz Hamburg

Ganz am Ende macht Ronald Schill noch mal große Politik. Die Koalitionskrise, die der Amtsrichter aus Hamburg auslöste, bringt den Zeitplan der Berliner Parteistrategen gehörig durcheinander. Beide politischen Lager hatten darauf gebaut, dass sie bis zur Europawahl im Juni keine Urnengänge zu befürchten haben. Und bis dahin, so das Kalkül von Gerhard Schröder bis Angela Merkel, könnte die größte Empörung über die Agenda 2010 oder die Kopfpauschale schon vergessen sein.

KOMMENTARVON RALPH BOLLMANN

Doch jetzt finden sich die Unterhändler im Berliner Vermittlungsausschuss, deren Reformstreit heute in die letzte Runde geht, ganz unverhofft mitten im Wahlkampf wieder. Egal, bei welchem Thema sie einen Kompromiss eingehen wollen – immer werden sie die Folgen für die Hamburg-Wahl bedenken, die voraussichtlich Ende Februar stattfindet. Das gilt umso mehr, als die Hamburger Lokalmatadore für ein bundespolitisches Duell prädestiniert scheinen. Bei der SPD amtiert vorerst noch Bundes-Buhmann Olaf Scholz als Landesvorsitzender, und bei der CDU segelt kaum ein Ministerpräsident so konsequent auf dem liberalen Kurs der Berliner Parteichefin wie Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust.

Gerade weil die Konstellation so ist, werden beide Volksparteien vor Ort versuchen, die Bundespolitik nach Kräften außen vor zu lassen. Vor allem die Sozialdemokraten werden den Teufel tun, ihren eigenen Berliner Schlamassel zu thematisieren – und stattdessen mit dem Finger auf Beusts gescheiterten Pakt mit dem rechtspopulistischen Beelzebub weisen. Der Bürgermeister selbst wird lieber seinen eigenen, populären Kopf in die Kameras halten, als unbeliebte Kopfpauschalen zu propagieren. Die Proteststimmen gegen die rot-grüne Reformpolitik kann er ohnehin einheimsen.

Die Politik ängstigt sich offenbar derart vor dem Wort des Souveräns, dass sie Wahlen mit ernsthaften Reformen für notorisch unvereinbar hält. Union und SPD vertrauten bis gestern auf das schlechte Gedächtnis der Wahlbürger. Sie haben geglaubt, sie könnten ihre einschneidenden Reformen an einer wirklichen Auseinandersetzung mit dem Publikum einfach vorbeimogeln. Wohin eine solche Politik des reinen Machtkalküls führt, das hat Hamburgs Bürgermeister gerade schmerzlich erfahren. Sprängen die Berliner Politiker jetzt vom Verhandlungstisch im Vermittlungsausschuss auf, hätten sie ihre Lektion aus der Causa Schill nicht gelernt.