Ein Klima der Angst im „Herzen der Welt“

Die vier indigenen Völker in der kolumbianischen Sierra Nevada stehen zwischen allen Fronten

PORTO ALEGRE taz ■ Noch immer hält die Guerillagruppe „Heer zur nationalen Befreiung“ (ELN) fünf Rucksacktouristen in Nordkolumbien fest. Entführungen sind die Lieblingsmethode der Rebellen, um die kolumbianische Regierung unter Druck zu setzen, denn im Vergleich zu der größeren Organisation Farc ist ihre militärische Schlagkraft gering. Dass die Bremerin Reinhilt Weigel und der Baske Asier Huegun letzte Woche freigelassen wurden, haben sie einer kaum beachteten Konzession von Präsident Alvaro Uribe zu verdanken: Der gab grünes Licht für die Entsendung einer unabhängigen Kommission ins Entführungsgebiet und erfüllte damit die Hauptforderung der ELN.

Eine Woche lang war die Gruppe in der Sierra Nevada de Santa Marta unterwegs. Neben dem kolumbianischen Ombudsmann und Vertretern des UNO-Menschenrechtsbüros in Bogotá gehörten dazu die Priester Darío Echeverri und Héctor Fabio Henao, erfahrene Verbindungsleute zwischen Regierung und Guerilla. Gegenüber der taz bestätigte Henao, in den von ihnen besuchten Indígena-Gemeinschaften herrsche eine „dramatische soziale Situation“ und ein „Klima der Angst“, und sagte: „Am meisten bekümmert uns die Lage der Kakuamos.“ Vor der Veröffentlichung des Berichts Mitte Dezember wolle er aber keine Details nennen.

An seriösen Bestandsaufnahmen über die Lage in dem Bergmassiv mangelt es schon jetzt nicht. Je drei Verbände von Farc, ELN und den Paramilitärs treiben dort ihr Unwesen. Die rechten Todensschwadronen und die Armee arbeiten nach Angaben des UNO-Menschenrechtsbüros in Bogotá eng zusammen. Die Folge: Die vier indigenen Völker der Region gerieten zwischen sämtliche Fronten. Allein in diesem Jahr wurden im Südosten der Sierra Nevada 54 Kankuamos ermordet, so die Indígena-Dachorganisation Onic.

Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern gehen etwa 80 Prozent der Morde auf das Konto der Paramilitärs, ein Fünftel auf das von Farc- oder ELN-Guerilleros. „Kooperation“ mit dem Feind“ lautet die gängige Begründung. Zwangsrekrutierungen indigener Jugendlicher sind an der Tagesordnung. „Auch der Armee werden außergerichtliche Hinrichtungen und eine grausame Behandlung von Indígenas zugeschrieben“, sagt Gabriel Muyuy, indigener Exsenator und jetzt im Büro des Ombudsmannes zuständig für Indianerrechte. Die Gemeinschaften seien allerdings so eingeschüchtert, dass sie die „allgemein bekannten Verantwortlichen“ nicht anzeigen würden. Aus der Militärbasis La Popa in der Nähe der Provinzhauptstadt Valledupar heraus, aber auch von einigen zivilen Behörden würden die Todesschwadronen unterstützt, zitiert Muyuy Zeugenaussagen. Etwa 200 Kankuamo-Familien haben in Elendsvierteln der Städte Zuflucht gesucht. Wer geblieben ist, traut sich kaum mehr aus den Dörfern heraus.

Zusammen mit den Nachbarvölkern der Kogis, Arhuacos und Wiwas bilden die rund 7.500 Kankuamos jene vier Pfeiler, die in ihrer Vorstellung die Welt zusammenhalten. Für sie ist die Sierra Nevada das „Herz der Welt“. Die Geschichte ihres Widerstands reicht in die Kolonialzeit zurück. In den 1980ern tauchten die ersten Guerillagruppen auf, seit 1996 die von Großgrundbesitzern gegründeten Paramilitärs. Deren Terror, meint der Onic-Vorsitzende Luis Evelis Andrade, solle auch den Bau eines Wasserkraftwerks und von Bewässerungsanlagen erleichtern. Neben dem Krieg seien die Großprojekte eine „strukturelle Ursache für die humanitäre Katastrophe“ in der Sierra Nevada.

Das wiederum sieht die ELN-Guerilla ähnlich. Kommandant Pablo Beltrán geißelte wiederholt die „perfide Kriegsführung“ der Paramilitärs und forderte „humanitäre Lösungen“ für die Sierra Nevada. Ob das mehr Eindruck macht als die Appelle von Indígenas oder Menschenrechtlern, bleibt abzuwarten. Uribes Friedensbeauftragter Luis Carlos Restrepo jedenfalls erneuerte jetzt wieder ein Gesprächsangebot an die ELN. GERHARD DILGER