Auf Du und Du mit der Apokalypse

KOLLAPS Die Möglichkeit eines Endes unserer Zivilisation wird gern unterschätzt, nur die Kunst stellt sie sich vor

Der Einzelne wird an seinem Platz umso wichtiger, je komplizierter die Systeme einer Gesellschaft sind

VON ULRICH GUTMAIR

Die Zivilisation ist nur drei Mahlzeiten von Hunger und Anarchie entfernt, das wussten schon die Alten. In Zeiten, in denen der Vertrieb von Gütern nach dem Prinzip von Just-in-Time organisiert ist, kann umso sicherer damit gerechnet werden, dass die Supermärkte nach drei Tagen leer sind, sollten die Distributionsketten unterbrochen werden. Wenn das apokalyptische Grundgefühl der Achtziger trotzdem außer Mode gekommen ist, dann hat das nichts damit zu tun, dass wir es besser wissen. Wir wissen nicht genug über die Verletzbarkeit unserer Zivilisation.

Nur in der Kunst wird weiter gerne über das Ende der Zeiten spekuliert. Was passieren kann, wenn eine Krankheit pandemische Ausmaße erreicht, hat in den Siebzigerjahren Carl Amery in seinem wunderbaren Roman „Der Untergang der Stadt Passau“ beschrieben. Auch der 1975 in Polen geborene und heute in Berlin lebende Künstler Paul Rascheja hat sich dieses Themas angenommen. Er hat Bilder bekannter Berliner Wahrzeichen so bearbeitet, dass sie den Eindruck vermitteln, das Ende der Welt habe bereits stattgefunden. Lange kann es nicht hergewesen sein, aber doch lange genug, dass kräftige Pflanzen den Asphalt vor dem Brandenburger Tor durchstoßen haben, wie auf obigem Bild zu sehen.

Was muss passieren, damit eine Zivilisation zusammenbricht? Vorgestern hat die WHO Pandemiestufe 4 ausgerufen, was nichts anderes heißt, als dass sich demnächst entscheiden wird, ob es zu einer solchen kommt oder nicht. Die Regierungen sind nun aufgefordert, schnelle Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu ergreifen. Zur Not müssen ganze Gebiete unter Quarantäne gestellt werden. Es könnte aber sein, dass in der globalisierten, hochvernetzten Gesellschaft Quarantäne keine Option mehr ist. Denn die Experten streiten sich darüber, ob lebenswichtige Systeme einer Gesellschaft aufrechterhalten werden können, wenn mehr als ein Viertel der Beschäftigten nicht zur Arbeit erscheint. Komplexitätsforscher haben herausgefunden, dass der Einzelne an seinem Platz umso wichtiger wird, je komplizierter die Systeme sind. Dass ein Drittel der Menschen am Virus erkranken könnte, ist heute zumindest eine Möglichkeit, die nicht ausgeschlossen werden kann. Ob dann bald Gras über die Hauptstadt wachsen wird? Wir hoffen mal, die Antwort lautet nein. Für ausreichend Dosenravioli und ein Batterieradio sollte vielleicht dennoch gesorgt werden.