Dominikus Müller schaut sich in den Galerien von Berlin um

Auf dem Weg zur Eröffnung in der Galerie Kai Hoelzner am Kottbusser Tor bleibe ich an einem großen schwarzen Aufsteller hängen. „Mysteriöse Wohnung am Kotti gefunden! Jetzt für die Öffentlichkeit zur Besichtigung freigegeben“. Das Treppenhaus im Zentrum Kreuzberg riecht unangenehm, aber stilecht nach Pisse und Müll, der Aufzug ist eng und stickig. Im dritten Stock dann: eine leerstehende Wohnung, total vollgemüllt, halb zerstört, zerschlissene Matratzen, kaputte Kuscheltiere, Scherben auf dem Boden und die Fenster mit Pappe verrammelt. Überall Sprüche an der Wand à la „Ich kann nicht mehr!“. Rote Spritzer vervollkommnen dieses Paradebeispiel einer Junkiewohnung, das totale Klischee der sozialen, körperlichen und seelischen Verwahrlosung. Und trotz des Platt-Karikaturesken hat das eine ziemlich bedrückende Wirkung. Der Schauer des Realen eben – am medial klischeehaft überfrachteten Ort. Wieder unten in der Galerie dann stehe ich lange vor Svenja Krehs düsteren Tuschezeichnungen. Kreh bezieht sich auf die Zeit vor der Erfindung der Zentralperspektive, auf den Übergang von der späten Gotik in die frühe Renaissance. Ihre geschichteten Konglomerate von Bergen, Toren, Gefäßen, Bestien, Maskenträgern und Affen dehnen den Zugriff der Gegenwart bis weit in die Vergangenheit hinein aus. Kreh bezieht sich dabei auf einen Bildraum, der sich selbst aus noch älteren, byzantinischen Bildern speist und seinen Wahrheitsgehalt aus dieser Traditionslinie und nicht aus einer illusionistischen Ähnlichkeitsbeziehung zum Sichtbaren bezieht. Als die Galerie zumacht, gehe ich noch zwei Türen weiter. Dort spielt in einem Projektraum eine einsame Frau ein eigentlich ziemlich peinliches Konzert. Sie raucht, während sie singt, und starrt ausdruckslos über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Ob sie tatsächlich auf H ist oder nur so tut, ist jetzt auch schon egal.

„Mysteriöse Wohnung am Kotti gefunden“; seit 25. April vorbei, nähere Informationen zum Projekt: www.amkotti.de Galerie Kai Hoelzner: Svenja Kreh; bis 30. Mai, Adalbertstraße 96, Mi.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 14–18 Uhr