Schlechte Behandlung im Pflegebereich

ARBEITSPROZESS Eine 47-Jährige hat über Missstände bei Vivantes berichtet – und wurde entlassen

„Bequem waren wir nie“, lautet einer der Titel im Bücherregal von Brigitte Heinisch. Es ist auch die Lebensmaxime der 47-jährigen Altenpflegerin. Vor einigen Monaten hat sie im Rowohlt Verlag ein Buch mit dem Titel „Hauptsache satt und sauber“ veröffentlicht. Darin berichtet sie, wie sie ihren Job bei Vivantes verlor, weil sie Missstände aufgedeckt hat. „Man hat mir die Ausübung meines Berufs verboten“, klagt Heinisch.

Dabei hat die in Ostberlin geborene Frau den Pflegeberuf Anfang der 90er-Jahre bewusst ausgesucht, weil sie mit Menschen arbeiten wollte. „Ich wollte nur in Ruhe meine Arbeit machen“, betont sie. Doch als sie 2002 im Pflegekonzern Vivantes anfing, war es damit bald vorbei. Sie habe beobachtet, wie manche Heimbewohner stundenlang in Urin und Kot lagen, schreibt sie in ihrem Buch. Sie habe registriert, dass überlastete Pflegerinnen die Menschen nicht optimal versorgen konnten, und erlebt, wie HeimbewohnerInnen gesetzeswidrig gefesselt wurden. Irgendwann wollte sie nicht mehr schweigen. Zunächst schlug sie intern Alarm und mahnte Änderungen an. Vergeblich. Danach wandte sie sich an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Der protokollierte die Missstände. Als sich auch danach nichts änderte, stellte Heinisch Strafanzeige, auch wegen Nötigung, weil dem Personal strikt verboten wurde, über die Missstände zu reden.

Im Januar 2005 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit der Begründung ein, man sei für allgemeine Missstände nicht zuständig. Heinisch habe zudem ihre Loyalitätspflicht gegenüber ihren Arbeitgeber verletzt. Einen Tag später erhielt sie die Kündigung. Zwei weitere Kündigungen wurden von Vivantes nachgeschoben.

Seitdem kämpft Heinisch für ihre Wiedereinstellung. In der ersten Instanz gab ihr das Arbeitsgericht Recht. Doch in der Berufsverhandlung stellte es sich auf die Seite von Vivantes. Am heutigen Mittwoch verhandelt das Arbeitsgericht über eine weitere Kündigung.

Für ihren Kampf bekam Heinisch Anerkennung. 2007 wurde ihr von der Vereinigung Deutscher WissenschaftlerInnen (VDW) der Whistleblower-Preis verliehen. Als Whistleblower werden Menschen bezeichnet, die gravierende Missstände in Unternehmen öffentlich machen und dafür Nachteile in Kauf nehmen müssen.

Zwei Vorstandsmitglieder der VDW haben in einem Schreiben an den Vivantes-Aufsichtsrat die Rücknahme der Kündigung angemahnt. „Frau Heinisch hat zu keinem Zeitpunkt etwas getan, was nicht ihr gutes Recht oder sogar ihre Pflicht als gesetzestreue und verantwortungsbewusste Mitarbeiterin war“, erklären die VDW-Vorstandmitglieder. Zudem sei die jahrelange arbeitsrechtliche Verfolgung kein positives Beispiel, das Vivantes als öffentliches Unternehmen eigentlich abgeben müsste. Bei Vivantes wollte sich niemand zu dem Fall äußern. PETER NOWAK