Ein Tribunal für Saddams willige Vollstrecker

In Bagdad beginnt die juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Regimes. Mitglieder des Regierungsrats bestehen auf der Todesstrafe

BAGDAD taz ■ Der Sitz des Tribunals ist hochsymbolisch. Ausgerechnet in der früheren Zentrale der Baath-Partei in Bagdad sollen nun aller Voraussicht nach die Funktionäre des Regimes von Saddam Hussein vor Gericht gestellt werden. Mit der Einberufung eines Sondertribunals, die der irakische Regierungsrat in der Nacht zum Mittwoch beschlossen hat, schafft der Irak die Grundlage für eine juristische Aufarbeitung der Diktatur.

Dem Tribunal werden ausschließlich irakische Richter vorsitzen. Diese sollen zwar von „ausländischen Experten“ unterstützt werden, wie das Ratsmitglied Mowaffak al-Rubaie gestern mitteilte. Doch von Anfang an haben irakische Politiker keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ein Tribunal gegen die Schergen des Regimes in irakischen Händen wissen wollen. „Die meisten Verbrechen hat das Regime an Irakern verübt, deshalb ist dies eine irakische Angelegenheit“, so auch der Tenor vieler Iraker.

Die Liste der Anklagepunkte ist lang. Dem Baath-Regime werden zahlreiche Verstöße gegen internationales Recht zur Last gelegt, u. a. die Überfälle auf die Nachbarländer Iran und Kuwait, der Einsatz chemischer Waffen gegen iranische Soldaten und kurdische Zivilisten und die Zerstörung der Sumpfgebiete im schiitischen Süden des Landes. Der Zeitraum, der aufgearbeitet werden soll, beginnt mit dem Tag der Machtübernahme der Baath-Partei am 14. Juli 1968 und geht bis zum offiziellen Ende des Irakkriegs am 1. Mai 2003.

An Beweisen mangelt es nicht. Millionen von Dokumenten, die nach dem Krieg in die Hände der US-Koalition gelangt sind, zeugen von der Rechtlosigkeit im Zweistromland. Opferverbände kümmern sich derzeit um die Erfassung von Rechtsansprüchen und die Dokumentation von Zeugenaussagen. 263 Massengräber wurden in den vergangenen Monaten entdeckt; Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der Opfer im Land auf 300.000.

Die Mehrzahl der Opfer sind Kurden und Schiiten. Sie wurden überwiegend während der „Anfal“ genannten Auslöschungskampagne gegen die Kurden im Jahr 1988 und der Niederschlagung der schiitischen Aufstände 1991 und 1999 ermordet. „Wir fanden Massengräber mit Kindern und Frauen, deren Leichen Kopfschüsse aufwiesen“, sagte Sandra Hodgkinson von der Besatzungsverwaltung Anfang November bei einem Workshop in Bagdad. Menschenrechtsorganisationen werfen der Besatzungsverwaltung indes Versäumnisse bei der Sicherung der Beweise vor. Kurz nach Kriegsende hatten verzweifelte Familien begonnen, nach den sterblichen Überresten ihrer Angehörigen zu graben, und dabei ein Grab im Süden des Landes mit über 3.000 Opfern zerstört.

Die Organisation Ärzte für Menschenrechte warnt bereits, dass das schiere Ausmaß der Verbrechen jeden Rahmen sprengen werde. So habe man in Bosnien für die Exhumierung von 8.000 Opfern neun Jahre gebraucht. Im Irak ist bisher nur eine britische Nichtregierungsorganisation für die Exhumierung der Leichen zuständig. Ab Januar soll sie durch 400 internationale Gerichtsmediziner unterstützt werden. Die Madrider Geberkonferenz hat dafür 100 Millionen Dollar bereitgestellt.

Das Tribunal werde Klage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Genozid und Folter erheben, so der Richter Dara Nureddin. Er gehört dem Regierungsrat an und ist Mitglied einer Kommission, die in den nächsten Wochen ein Statut für das Tribunal vorlegen will. Wegen der Unzulänglichkeit des irakischen Strafrechts werde internationales Recht die Grundlage dafür bilden, so Nureddin. Strittig ist weiterhin die Verhängung der Todesstrafe. Auf diese wollen etliche Mitglieder des Regierungsrats nicht verzichten. Die Briten lehnen dies ab. Sie bestanden schon bei der Wiedereinführung des Strafrechts von 1969 im Juni 2003 auf der Abschaffung der Todesstrafe.

Vor dem Sondertribunal sollen in erster Linie die Spitzen des alten Regimes angeklagt werden: 40 der von Washington meistgesuchten 55 befinden sich bereits in Haft. Mit der US-Armee ist vereinbart, dass sie festgenommene Kriminelle den irakischen Behörden übergibt. Wer von ihnen aber vor Gericht gestellt werden wird, ist bislang unklar. Noch verhandelt der Rat über eine Art Kronzeugenregelung. Diese soll zumindest einigen Tätern eine weniger schwere Anklage garantieren, wenn sie mit dem Strafgericht zusammenarbeiten.

Sollte Saddam Hussein selbst lebend gefangen genommen werden, wird auch er sich vor dem Tribunal verantworten müssen. Er könnte aber auch in Abwesenheit verurteilt werden. Seine Anhänger schrecken auch vor Anschlägen auf die Justiz nicht zurück. Im November wurden zwei hochrangige Juristen ermordet, die als Richter für das Tribunal im Gespräch waren. INGA ROGG