Weniger Geld für mehr Wohnungslose

Erstmals seit acht Jahren melden Wohlfahrtsverbände wieder mehr Wohnungslose im Ruhrgebiet. Das Land Nordrhein-Westfalen kürzt die Unterstützung, obwohl Obdachlosigkeit besonders in den großen Städten ansteigt

RUHR taz ■ Die Träger der Beratungsstellen für Wohnungslose melden seit Jahren wieder einen Anstieg der Wohnungslosigkeit. Im Ruhrgebiet nehmen mehr Menschen die Hilfsangebote der Beratungsstellen in Anspruch als in den Vorjahren, berichtet Jan Orlt von der Diakonie Westfalen. Norbert Hartmann vom Caritasverband Essen sagt: „Das soziale Klima hat sich derart verschlechtert, dass es in Zukunft wieder mehr Obdachlose geben wird.“ Für die Wohnungslosen brechen harte Zeiten an: Die Landesregierung wird die Mittel für ihr Förderprogramm „Wohnungslosigkeit vermeiden – dauerhaftes Wohnen sichern“ im kommenden Jahr voraussichtlich um rund 25 Prozent von 1,9 auf 1,4 Millionen Euro im Jahr kürzen.

Das Landesprogramm startete im Jahr 1996, nachdem die Zahl der Obdachlosen in NRW 1995 mit 57.847 Menschen ohne Wohnung einen Höchststand erreicht hatte. Zu Gute kamen die rund 16 Millionen Euro Fördegeld in den sieben Jahren besonders innovativen Hilfsprojekten der Wohlfahrtsverbände. Insgesamt 100 Beratungsstellen oder mobile Krankenpflegeprojekte wurden ins Leben gerufen. Das Programm zeigte scheinbar Wirkung: Die Obdachlosenzahlen sind seitdem kontinuierlich gesunken. Im Juni 2003 verzeichnete die Statistik nur noch 19.479 Wohnungslose. „Das ist ein großer Erfolg für Land und Kommunen“, sagt Walter Godenschweger, Sprecher des Düsseldorfer Sozialministeriums. Ein Ende des positiven Trends sieht er nicht.

Die scheinbar erfolgreiche Statistik kann aber nur die halbe Wahrheit liefern. Denn nur diejenigen werden erfasst, die sich tatsächlich bei Obdachlosenberatungsstellen melden. „Wie viele Menschen Katzenfutter essen, um ihre Wohnung behalten zu können, steht in keiner Statistik“, sagt Ernst Lange vom Bochum-Dortmunder Obdachlosenhilfe Verein BODO. Für ihn ist auch der schlechte Zustand der öffentlichen Übernachtungsstellen ein Grund dafür, dass die Statistiken so positiv ausfallen. „Viele Menschen kommen lieber bei Freunden oder sonstwo unter, als in die Übernachtungsstellen zu gehen.“ Den kommunalen Einrichtungen fehlt es vor allem an Personal. In der Dortmunder Männerübernachtungsstelle Unionsstraße beispielsweise ist für die bis zu 50 Übernachtenden oft nur ein Pförtner anwesend.

“Die Statistik sieht schöner aus als die Realität“, sagt Norbert Hartmann vom Caritasverband Essen. Zwar habe sich die Lage bis vor kurzem auch aufgrund des durch Stadtflucht relativ entspannten Wohnungsmarktes im Ruhrgebiet verbessert. Wenn aber nun die Hilfe des Landesprogramms wegbreche, drohe ein Horrorszenario: Zahlreiche Projekte könnten nicht mehr weitergeführt werden, bei den Trägern der Hilfseinrichtungen für Obdachlose drohten betriebsbedingte Kündigungen. „Dabei wird es in Zeiten des Sozialkahlschlags wieder mehr Menschen ohne Obdach geben“, glaubt Hartmann.

Bei der Diakonie Westfalen erwartet man angesichts der Kürzungen keine derart drastischen Konsequenzen. Laufende Projekte, so die aufsuchende Krankenpflege in Dortmund, könnten zunächst durch Spenden weiter finanziert werden. Aber: „Spenden sind nur eine Brücke, mit der keine langfristige Hilfe gesichert werden kann“, sagt Jan Orlt. „Es wird natürlich immer schwerer, Innovationen anzubringen.“

Das Sozialministerium versucht, die Verbände zu beruhigen. „Die bestehende Infrastruktur in der Obdachlosenhilfe wird erhalten bleiben“, sagt Sprecher Godenschweger. Das Geld aus dem Landesprogramm werde man verstärkt für Prävention einsetzen. Um zu verhindern, dass wieder mehr Menschen ihre Wohnung verlieren und auf der Straße landen.

KLAUS JANSEN