Zuviel Weichspüler

Stilmix, hochflexibel: Die französische Compagnie La Baraka erschafft unter Leitung des marokkanischstämmigen Choregraphen Abou Lagraa ein Amalgam aus Afro, Jazz, modernem Tanz und HipHop-Elementen

HipHop braucht keine umständlichen Einleitungen. Die Scheinwerfer auf der Bühne blenden auf. Schon sind wir mitten drin in einem rhythmisch wogenden Tanzrausch. Der Tanz der Straße ist ein Kernstück des energetischen Tanzamalgams, das der französische Choreograph Abou Lagraa in Allegoria Stanza angemischt hat. Ein Tanzfest, mit dem die Compagnie La Baraka auf Kampnagel derzeit trübe Dezemberlaunen aufhellt.

Seit einigen Jahren drängt es vor allem in Frankreich den HipHop auf die Theaterbühnen. Populärstes Beispiel war Anfang der 90er das Jugendprojekt Black Blanc Beur. Heute lassen sich im Gegenzug Ballett und moderner Tanz von der virtuosen Bewegungskunst der Vorstädte inspirieren. Doch Abou Lagraa, dessen Familie aus Marokko stammt, hat nicht nur sein hochtrainiertes Ensemble um drei bodenständige HipHopper erweitert, er breitet über der Begegnung der Kulturen zusätzlich einen Schleier aus 1001 Nacht aus. Rollende Perkussionen und der arabische Gesang der libanesischen Chanson-Diva Fayrouz animieren zu schlangenartigen Bewegungen und weichen Hüftschwüngen.

Orient trifft Okzident – zwischen Himmel und Erde. Einen unglaublichen Stilmix hat der Choreograf hier verwoben. Afro, Jazz, moderner Tanz, Ballett, orientalische Armwindungen und immer wieder hochfliegende Hebungen aus der Kontaktimprovisation blitzen auf in einem harmonisch dahin fließenden Bewegungsstrom. Einige der HipHop-Einlagen sind hier wirklich phänomenal.

Allegoria Stanza ist wie ein gut gemachter Popsong, dessen Macher Sinn und Wesen aller Ingredenzien clever auszuspielen versteht. Eine Tänzerin tippt den Finger auf eine Leinwand, aktiviert einen filmischen Wassertropfen, der gleich zu einem ganzen Meer aufläuft. Schaumkrönchen werden zu Schäfchenwolken. Blutrot färbt sich die eben noch himmelblaue Leinwand mit dem einsetzenden Regen. Und auch wenn Frankreichs bekanntester Tanzfilmer Charles Picq dieses Hintergrundpanorama geschaffen hat – kitschig ist es trotzdem. Auch Laagra hätte seine durchaus originelle Bewegungsphantasie ruhig ein wenig sparsamer mit choreografisch glättendem Weichspüler behandeln sollen. Doch den hervorragenden und unglaublich vielseitigen TänzerInnen kann das wenig anhaben. Pur und ohne Pathos begeistern sie vor allem in ihren konzentriert ausgearbeiteten Soli und Duetten, in denen jeder seine eigene, höchst individuelle Tanzgeschichte erzählt. Dann erzeugen die kantigen Eruptionen des HipHop in den schwebenden Armen der Ballerina aufregend sinnliche Momente. Marga Wolff

nächste Vorstellungen: 12.–14.12., jeweils 20 Uhr, Kampnagel