Die Ohren öffnen

Nach 50 Jahren Zusammenarbeit gibt das Duo Michael Naura – Wolfgang Schlüter morgen im Birdland sein (beinahe) letztes Konzert. Als Special Guest wird Peter Rühmkorf erwartet

von Tobias Richtsteig

Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, sagt der Volksmund. Meist jedoch gelingt es bestenfalls Sportlern, diese Regel auf ihre aktiven Karrieren anzuwenden, Musiker hingegen verpassen wie Michael Jackson oft den Zeitpunkt für einen gelungenen Ausstieg oder werden vom frühen Ende ihres Lebens überrascht wie Miles Davis oder Jimi Hendrix. Bemerkenswert also, wenn jetzt in Hamburgs Jazzclub Birdland „The Last Concert“ annonciert wird. Nach 50 Jahren enger Freundschaft und musikalischer Zusammenarbeit verabschieden sich Michael Naura und Wolfgang Schlüter mit einem besonderen Konzert. Als Gast eingeladen ist Peter Rühmkorf, mit dem die Musiker unter dem Motto „Jazz und Lyrik“ die „arbeitsteiligen Künste wieder zusammenführten“.

Tatsächlich treffen sich die Lyrik Rühmkorfs und der Jazz von Naura und Schlüter wie zwei Seiten der selben Medaille – ohne falschen Respekt, bisweilen deftig im Ausdruck und um einen selbstsicheren Kommentar nie verlegen. Kein Wunder, dass Naura die Arbeit mit Rühmkorf zum Fixpunkt seines Schaffens erklärt.

Das Michael-Naura-Quintett gehörte in den 50er und 60er Jahren zu den erfolgreichsten Jazzacts Deutschlands. Seit den Anfängen 1953 in Ostberlin immer dabei: Wolfgang Schlüter, ein Vibraphonist, der mit seinem ebenso eleganten wie eigenständigen Stil schnell als einer der wichtigsten Vertreter seines Instruments galt. Die tanzbaren Schallplatten zwischen Cocktailjazz und HardBop lagen 1962 in der Gunst des Publikums noch vor dem sonst unangefochtenen Albert Mangelsdorff und werden heute wieder aufgelegt, ihre Hits finden sich auf den Dancefloor- Samplern des Mojo-Clubs.

Doch das Leben im „Untertagebau der Jazzkeller“ erwies sich für Naura als aufreibend: Auf einen Zusammenbruch folgte Mitte der 60er das Comeback im Duo mit Schlüter. Auf einer Studentendemo in Hamburg begleiteten die Musiker dann zum ersten Mal den „Elb-Goethe“ Rühmkorf mit seinen politischen Gedichten. In Konzerten und Schallplattenprojekten verbanden Naura, Schlüter und Rühmkorf seitdem improvisierte Musik mit leidenschaftlicher Lyrik im antibürgerlichen Gestus des synästhetischen Experiments.

Dass Jazz wesentlich ein Mittel der Aufklärung gegen Spießigkeit und Intoleranz ist, blieb Nauras Credo, auch als er 1971 beim NDR zum Leiter der Jazzredaktion wurde. Den Hörern „die Ohren öffnen“ wollte der erste aktive Musiker in dieser öffentlich-rechtlichen Position und prägte bis 1999 unter anderem auch das Hamburger Jazzfestival in der Fabrik. Beim Wechsel in den Ruhestand hinterließ der von Kritikern als „Jazzpapst“ Apostrophierte ein programmatisches Vakuum – ohne den NDR als Mitveranstalter verschwand auch ganz schnell das Festival aus dem Kalender.

Am Samstagabend geht also im Birdland auch symbolisch eine Epoche des Jazz in Hamburg zu Ende. Naura, der im kommenden Jahr 70 wird, bleibt seinem Publikum jedoch als Autor erhalten. Erst im vergangenen Jahr veröffentlichte er mit Cadenza einen Band mit Essays und Grafiken, im Oktober 2002 erschien sein Hörspiel Der Lange Sturz über Chet Baker als Hörbuch und eine Produktion zum Leben Billie Holidays ist in Vorbereitung. Zum wehmütigen Abschied besteht also kein Grund beim „letzten Konzert“.

morgen, 21 Uhr, Birdland; Michael Naura: Cadenza. Ein Jazzpanorama. Europäische Verlagsanstalt, 2002, 176 Seiten, 30 Euro; Chet Baker – Der lange Sturz, Hörspiel, Hoffmann und Campe, 2002, eine CD, 17,90 Euro. Und kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht, dass es im Januar doch noch ein allerletztes Konzert mit Michael Naura und Wofgang Schlüter geben wird: Am 8.2. gastieren die beiden in der Fabrik, Naura wird dabei aus Cadenza lesen