Die Kamera liebt dich

Der Studentenstreik lebt von seiner medialen Selbstinszenierung. Das inhaltliche Anliegen der Streikenden tritt gegenüber den durchaus fantasievoll inszenierten emotionalen Bildern in den Hintergrund, die Form überwuchert die Inhalte und auch den inhaltlichen Dissens unter den Studierenden

von JAN-HENDRIK WULF

Ob Sprung in die Spree oder geköpfter Christbaum – der studentische Streik lebt im Wesentlichen von seiner medialen Selbstinszenierung. Gekonnt setzen die protestierenden Akademiker die unspektakuläre und im Stillen vonstatten gehende Depression verkommener Hörsäle, überfüllter Lehrveranstaltungen und unsystematisch bewältigter Sparzwänge in öffentliche Aufmerksamkeit um. Doch die zeitgemäße und medienwirksame Protestkultur hat ihren Preis: Das inhaltliche Anliegen der Streikenden tritt gegenüber den durchaus fantasievoll inszenierten emotionalen Bildern in den Hintergrund, die Form überwuchert die Inhalte.

Ein Effekt, der den beteiligten Aktivisten zeitweilig aus dem Bewusstsein gerutscht sein muss. „Jetzt müsste aber bald mal die Polizei hier auftauchen, sonst haun uns noch die Presseleute wieder ab“, belauscht man eine Gruppe von Studenten unmittelbar vor der Besetzung des Roten Rathauses. Wenige Minuten später erscheinen tatsächlich 15 Aktivisten auf dem Balkon des Senatssaales und entrollen Transparente: „Berlin grüßt Hessen. Wowi und Koch gemeinsam stürzen.“ Kamerascheinwerfer leuchten auf. Die Dramaturgie der Aktion folgt den Mediengesetzen: Nicht durch sprachliche und argumentative, sondern durch bildliche und emotionalisierende Strategien soll hier Öffentlichkeit erreicht werden.

Auch die Polizei erfüllt pflichtgetreu alle in sie gesetzten Erwartungen: Fünf Wannen sperren mit blinkendem Blaulicht die Spandauer Straße ab, Beamte in Kampfmontur nehmen Aufstellung und kreisen die mit Trommel und Tröten diszipliniert auf dem Mittelstreifen spektakelnden Studenten ein. Hundertschaften sind es nicht, aber die Staatsmacht scheint den symbolischen Sturm auf ihre Machtzentrale wenigstens ein bisschen ernst zu nehmen.

Nicht erst seit den Stippvisiten in den Büros der Senatoren Flierl und Sarrazin ist die Besetzung prominenter Orte eine medienwirksame wie öffentlich akzeptierte Strategie des Protestes. Vorgemacht hat das einst Greenpeace mit der Besetzung der Brent-Spar-Plattform in der Nordsee. Und die orangefarbenen Umweltaktivisten haben sich in ihrer straff organisierten Professionalität längst in die Herzen der Nation protestiert. Wochenlang wurde bei Shell nicht getankt.

Auch die Botschaftsbesetzungen in den Ostblockstaaten haben sich als entscheidendes Fanal des Untergangs der DDR im kollektiven Gedächtnis der Deutschen gehalten. Nichts illustrierte die verzweifelte Entschlossenheit der Ostflüchtigen besser als das allen Seiten unwillkommene Ausharren in den diplomatischen Vertretungen.

Eine Klaviatur, auf der jetzt auch die streikenden Studierenden symbolisch zu spielen suchen: Rund 30 von ihnen beantragten für einige Stunden Bildungsasyl in der norwegischen Botschaft. Und punkteten damit auf der öffentlichen Sympathieskala. Wie im Falle des Roten Rathauses sind es allerdings nicht die trockenen Forderungen nach besserer finanzieller Ausstattung der Hochschulen, sondern der inszenierte Protest, die Prominenz des Ortes, die Skandalisierung, die ihre ganz eigene Botschaft kolportieren. „Es geht hier vor allem um die Symbolik“, fasst es Alex, einer der Rathausbesetzer, später zusammen.

Form und Inhalte dieses symbolischen Protestes sind dabei immer weniger zu unterscheiden: „Studierende regieren beim Regierenden“, titelte die taz. Doch darin liegt ein essenzialistischer Trugschluss: Ganz offensichtlich stimmen Bildgehalt und Realität nicht überein. Niemand hat die Absicht, den Regierenden Bürgermeister zu stürzen.

Nach zehn Minuten ist auf dem Rathausbalkon schon alles gesagt, nach einer Stunde die Besetzung friedlich beendet. Nur der Reporter der Berliner Zeitung muss sich im Gespräch mit einem der Besetzer ungewohnter Kritik stellen: „Ihr berichtet einfach nicht genug, wir überlegen schon, ob wir unser Abo kündigen.“

Berichterstatter und Protestierende bewegen sich in Symbiose. Folglich gibt es unter den spontan im Streik gebildeten Arbeitsgruppen auch eine „Presse-AG“, die die Protestaktionen auf Video dokumentiert und zumindest versucht, die Öffentlichkeitsarbeit der zahlosen Streik-Initiativen zu bündeln. „Wir wollen selbst daran mitwirken, welches Bild von unseren Protestaktionen in der Öffentlichkeit entsteht“, erklärt einer der beteiligen Studenten.

Unmerklich scheint die Form des Wahrgenommenwerdens die Inhalte zu verdrängen und zum eigentlichen Erfolgskriterium des studentischen Protestes zu werden. Auf einer Vollversammlung im Innenhof der Humboldt-Universität spricht Franziska ihren Kommilitonen Mut zu: „Öffentliche Meinung und Medien sind mit unsren Themen besetzt, dass heißt, wir werden endlich ernst genommen.“

Die mit Guidomobil und Kanzlerduell aufgewachsene Studentengeration weiß, dass narzisstische Selbstvergewisserung auf Wahrgenommenwerden angewiesen ist. Doch worin man genau wahrgenommen werden möchte, interessiert auf der Vollversammlung allerdings nur eine Minderheit. Sobald die Verlängerung des Streiks auf dem unwirtlich kalten Innenhof beschlossen ist, beginnt sich die Versammlung auch schon wieder aufzulösen. Vor gelichteten Reihen werden die „Berliner Forderungen“ als der offizielle Konsensposition der drei großen Unis durchgewunken: „Ihr wisst ja sicher, worum es da geht“, fasst Katrin von der „AG Inhalte“ das Papier in aller Kürze zusammen. Doch davon kann keine Rede sein.

Denn die Dominanz der Bilder und Emotionen in der studentischen Protestkultur hat einen ganz pragmatischen Grund. Und der liegt im fehlenden Konsens über die eigentlichen Inhalte der Streikforderungen. Die Streikbewegung versteht sich ausdrücklich nicht als homogene Gruppe.

„Wir können hier nur für uns selbst sprechen“, sagen etwa FU-Studenten, die für einen Nachmittag die taz besetzen. Auch sie suchen die öffentlichkeitswirksame Nähe der Medien. Doch das inhaltliche Anliegen scheint in diesem Bemühen abhanden zu kommen. Um dem von ihnen offenbar längst verinnerlichten Klischee der faulen Studenten entgegenzuwirken, halten sie in einer Parallelaktion ein Seminar über Musils „Mann ohne Eigenschaften“.

Einig sind sich Studierende, wie übrigens auch deren Dozenten, in den unzumutbaren Arbeitsbedingungen an den Universitäten. Doch allein dieser kollektive Unmut ist konsensfähig. Denn während bei den Wirtschaftswissenschaftlern bereits über fakultätsgebundene Studiengebühren nachgedacht wird, erhebt die „AG Inhalte“ Forderungen nach elternunabhängigem Bafög und stärkerer studentischer Mitbestimmung in der universitären Selbstverwaltung.

So wärmt man sich wenigstens gemeinsam an der Berichterstattung. Im Ostfoyer der Humboldt-Universität, dem Streikzentrum, hängen dutzende von Presseberichten aus, auf einem Fernsehschirm überträgt das von der „Presse-AG“ betriebene „Sputnik TV“ die Zusammenschnitte der Besetzungsaktionen der letzten Tage. Ob man dabei war oder, wie die Mehrzahl, nicht, spielt keine Rolle: Nur als mediales Ereignis erlangt der Protest seine Realität und Legitimität.

Das ist schade, denn durch ihre Aktion haben die Studierenden öffentliche Aufmerksamkeit und eine enorme Sympathie erreicht. Ein Problem wird das, wenn nicht einmal die Akteure wissen, wofür genau.