Mehr Misshandlungen bei Bundeswehr

Gestern traf sich der Verteidigungsausschuss, um über die Misshandlungsvorwürfe bei der Bundeswehr zu beraten. Die Grünen werten die Verstöße als Beweis dafür, dass die Wehrpflicht Willkür bei der Armee nicht verhindern kann

BERLIN dpa/rtr/taz ■ Bei der Bundeswehr häufen sich die Misshandlungsvorwürfe. Statt bisher sechs sind nun schon zehn Fälle bekannt. Dies sagte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) gestern in Berlin während einer Sitzung des Verteidigungsausschusses. Während die FDP die schlechte Informationspolitik der Regierung beklagt, fordern die Grünen ein Ende der Wehrpflicht.

Struck sagte, er habe erwartet, dass jetzt mehr Verstöße gemeldet werden. Schließlich seien die Soldaten von ihm zu mehr Offenheit aufgefordert worden. Sein Verteidigungsministerium geht Vorwürfen aus Stuttgart und Bruchsal nach. In Stuttgart trainierten im Oktober 2003 die Bundeswehr und eine Polizeisondereinheit auf dem dortigen Flughafen eine Geiselbefreiung. Dabei sollen Soldaten von ihren Ausbildern misshandelt worden sein. Außerdem sollen Zeitsoldaten und freiwillig länger Dienende an dieser Übung teilgenommen haben, obwohl dies nicht erlaubt ist. „Scheinerschießungen“ soll es ebenfalls gegeben haben.

Das baden-württembergische Innenministerium sagte, es sei die Tötung eines Piloten und zweier Geiseln nachgestellt worden. „Übungen müssen realitätsnah ablaufen“, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Es sollte geprüft werden, ob die Eingreiftruppen der Bundeswehr einer Geiselnahme psychologisch gewachsen seien.

Politiker und Militärs stritten darüber, ob die Misshandlungen ein strukturelles Problem der Bundeswehr seien. Während Heeresinspekteur Hans-Otto Budde sie nicht für eine Folge der vermehrten Auslandseinsätze hält, vermutet Unions-Verteidigungsexperte Christian Schmidt, viele Soldaten hätten den Wandel zu einer Einsatzarmee noch nicht verarbeitet. Und der Chef des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, sagte, die Bundeswehr sei gut auf Auslandseinsätze vorbereitet – auch ohne die harten Ausbildungsmethoden, wie sie beispielsweise in den USA praktiziert würden. „Hätten sich dort Vorfälle wie in Coesfeld ereignet, würde kein Hahn danach krähen.“

Dennoch sollen Ausbildung und Dienstaufsicht als Kardinalfrage angesehen und künftig schärfer kontrolliert und verbessert werden. „Die Dienstaufsicht ist das A und O für jeden Vorgesetzten.“ Für Vernachlässigungen gebe es keine Entschuldigung. Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan sprach von Alarmzeichen. Pflicht der Kommandeure sei es, Missstände zu erkennen.

Verteidigungsminister Struck warnte unterdessen davor, die Bundeswehr generell unter Misshandlungsverdacht zu stellen. „Wir haben 12.000 Ausbilder“, sagte Struck, „davon werden 30 bis 40 überprüft“. Es gebe immer Menschen, die sich nicht an die Gesetze hielten. Entscheidend sei, Verstößen unnachgiebig nachzugehen. „Mir ist unerklärlich, wie Ausbilder auf solche Ideen kommen können“, betonte er. Der grüne Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei warf dem Verteidigungsministerium vor, die Misshandlungsvorfälle unterschätzt zu haben.

Die neuen Vorwürfe gegen die Bundeswehr stärken die Wehrpflichtgegner. „Niemand kann jetzt noch erzählen, dass die Wehrpflicht als Prophylaxe für Fehlentwicklungen wichtig ist“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, gestern in Berlin. „Die Misshandlungen zeigen die Schwächen der Wehrpflicht.“ Er fordert daher deren Abschaffung. DANIEL SCHULZ