Blair schaut lieber in die „Sun“

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Ach, Europa. Der britischen Regierung war die eigene Insel schon immer näher als das ferne europäische Festland. Die britische Debatte über die EU-Verfassung hat denn auch vor allem mit Innenpolitik zu tun.

Tony Blair will 2005 wiedergewählt werden und eine historische dritte Amtszeit antreten. Das gönnen ihm manche in der eigenen Partei nicht, allen voran Schatzkanzler Gordon Brown, der aufgrund eines angeblichen vertraulichen Abkommens von 1994 Blair schon voriges Jahr beerben sollte. Dass die beiden sich nicht mögen, ist kein Geheimnis. Vorigen Monat brüskierte der Premier Brown, als er ihn nicht in das strategisch wichtige Wahlkampfteam aufnahm, sondern stattdessen seine eigenen, relativ unbekannten Leute, einsetzte. Brown reagierte mit einer flammenden Rede gegen den „steuerlichen Föderalismus“ der EU.

Diese Rede war an Rupert Murdoch gerichtet. Der australische Medienzar, dem drei Viertel der britischen Presse gehören, war vor den Wahlen 1997 mit seinem Kampfblatt Sun zu Labour übergeschwenkt. Inzwischen aber überlegt Murdoch laut, wieder zu den Konservativen zu wechseln, die sich seit der Wahl ihres neuen Chefs Michael Howard etwas im Aufwind befinden.

Vorige Woche breitete die Sun genüsslich aus, dass die aus Deutschland stammende Labour-Abgeordnete Gisela Stuart im Regierungsauftrag einen Bericht erstellt hat, der zu Blairs Entsetzen kein gutes Haar an der vorgeschlagenen EU-Verfassung lässt. Sie verlangt zumindest ein Referendum über die Verfassung und kündigte an, dass sie aktiv für ein Nein werben werde. Das Boulevardblatt schmückte den Bericht mit der Warnung aus, dass das britische Nordseeöl unter der Verfassung Brüssel gehöre und die Queen nicht mehr britisches Staatsoberhaupt sei.

Das wirkt. Blair, der eigentlich eher proeuropäisch eingestellt ist, schlug sich öffentlich auf die Seite der EU-Skeptiker, zu denen auch Außenminister Jack Straw gehört. Eine EU-Verfassung sei wünschenswert, aber nicht lebensnotwendig, sagte Straw neulich. Blair hielt eine Rede vor dem Verband der britischen Industrie, in der er erneut betonte, dass die „roten Linien“ Londons nicht verhandelbar seien. Dazu gehören das Vetorecht in der Außenpolitik, bei der Steuer- und bei der Sozialpolitik. In diesen Bereichen dürfe auch künftig nur einstimmig entschieden werden, fordert die britische Regierung.

Blair will sich unmittelbar vor der Regierungskonferenz mit Jacques Chirac und Gerhard Schröder zur Beratung zusammensetzen. Viel Spielraum für Kompromisse bleibt Blair bei den Verhandlungen aber nicht. „Wenn wir zu keiner Einigung kommen, macht das alle möglichen Dinge komplizierter“, sagte ein Regierungssprecher. „Aber das Leben würde unter den bestehenden Verträgen weitergehen.“