„Reguläre Arbeitskämpfe reichen nicht“

EUROMAYDAY Es komme darauf an, dass Erwerbslose und prekär Beschäftigte selber etwas auf die Beine stellen, sagt Lea Voigt vom Euromayday-Bündnis

■ Jurastudentin in Bremen, ist bei „Avanti – Undogmatische Linke“ und hat den Bremer Euromayday mit vorbereitetFoto: privat

INTERVIEW CHRISTIAN JAKOB

Was machen die Gewerkschaften falsch, dass es einen Euromayday braucht?

Lea Voigt: Die Gewerkschaften orientieren sich überwiegend am Normalarbeitsverhältnis. Das gab es aber noch niemals für alle. Migranten oder Frauen zum Beispiel fallen da seit jeher heraus. Und heute finden sich immer mehr Menschen in prekären Lebenslagen wieder – zum Beispiel im Niedriglohnsektor, als Hartz IV-Empfänger, in der Zeitarbeit oder als Papierloser.

Das sind ganz schön unterschiedliche Dinge.

Wir gehen auch nicht davon aus, dass es so etwas wie „das Prekariat“ gibt. Trotzdem wollen wir diese Dinge zusammenbringen. Deswegen sprechen auf unserer Demo auch eine Stadtteilarbeiterin und ein nigerianischer Migrant, der nach einem Arbeitsunfall aus seinem Zeitarbeitsjob rausgeflogen ist. Selbst organisierter Widerstand findet bei den Gewerkschaften kaum statt. Und genau den wollen wir anstoßen, sichtbar machen und zuspitzen.

Wie wollen Sie denn die erreichen, die schon die Angebote der Gewerkschaften nicht wahrnehmen?

Wir haben eine ganz andere Herangehensweise. Wir wollen Erwerbslose und prekär Beschäftigte vernetzen, die selber etwas auf die Beine stellen wollen. Wir wollen zeigen, dass Widerstand sich lohnt. Die Gewerkschaften dagegen begreifen sich eher als Servicedienstleister…

und sagen, ihre Angebote für prekär Beschäftigte tragen den neuen Bedingungen sehr wohl Rechnung.

Es ist schön, wenn sich die Gewerkschaften da langsam öffnen. Die Frage ist aber: Welche Form von Widerstand ist in solchen neuen, deregulierten Arbeitsverhältnissen angebracht?

Nämlich welche?

Ritualisierte Arbeitskämpfe, wie die Gewerkschaften sie führen, jedenfalls nicht. Die halten die politischen Spielregeln ein und laufen deshalb ins Leere. Wir verstehen Arbeitskämpfe als politische Konflikte. Das erweitert den Spielraum auf politische Streiks, Besetzungen, Blockaden…

oder Bossnapping?

Vorherbestimmen, wie Widerstand sich entwickelt, können und wollen wir nicht. Wir wollen versuchen, bestimmte außerparlamentarische Protestformen in die betrieblichen Auseinandersetzungen einzubringen. Ob die Gewerkschaften die Bereitschaft mitbringen, die politischen Spielregeln zu übertreten, liegt an denen. Wir jedenfalls halten das für nötig.

Der DGB offenbar auch. Dessen Bundesvorsitzender Michael Sommer spricht dieses Jahr in Bremen – und soll, wie letzte Woche, auch etwas zu „drohenden sozialen Unruhen“ sagen.

Unsere Demo ist auch extra so gelegt, dass sich die DGB-DemonstrantInnen diese Reden zu Ende anhören und dann mit uns vom Domshof losgehen können. Für die Gewerkschaften ist es die Gretchenfrage, ob sie Motor oder Bremse solcher Auseinandersetzungen sind. Es muss gelingen, aus den festgefahrenen, ritualisierten arbeitsrechtlichen Feldern ein politisches Kampffeld zu machen. Reguläre Arbeitskämpfe reichen nicht aus.

Die Gewerkschaften sehen sich als Verteidiger des Sozialstaats. Sie auch?

Unser Verhältnis zum Sozialstaat hat mit dem Prekarisierungsbegriff zu tun. Materielle, soziale Verunsicherung war schon immer eine tragende Säule des Kapitalismus. Der Sozialstaat als Regime hat diese Funktion miterfüllt. Deswegen ist ein Zurück zum alten Sozialstaat keine Perspektive. Trotzdem gibt es natürlich innerhalb der kapitalistischen Welt Veränderungen, wie etwa den Sozialabbau, gegen die man sich ganz konkret zur Wehr setzen muss.