Misstrauen siegt im Parlament

Teilerfolg für ukrainische Opposition: Knappe Mehrheit der ukrainischen Abgeordneten stimmt für Absetzung der Regierung. Ministerpräsident verweigert Rücktritt und fordert Annullierung der Wahl

KIEW/BERLIN afp/dpa/taz ■ In ihrem Machtkampf mit der Regierung hat die ukrainische Opposition einen wichtigen Teilsieg errungen: Sie brachte am Mittwoch im Parlament einen Misstrauensantrag gegen die Regierung unter Wiktor Janukowitsch durch. Gemäß der Verfassung muss Janukowitsch nun seinen Rücktritt bei Präsident Leonid Kutschma einreichen. Der ließ mitteilen, er werde sich an die Verfassung halten. Zehntausende vor dem Parlamentsgebäude demonstrierende Anhänger der Opposition bejubelten das Abstimmungsergebnis.

229 Abgeordnete – drei mehr als erforderlich – stimmten am Mittwoch gegen die Regierung Janukowitsch. Zudem votierten sie für die Einsetzung eines parteiübergreifenden Übergangskabinetts. Janukowitsch war zum Sieger der umstrittenen Stichwahl um das Präsidentenamt am 21. November erklärt worden.

Nach dem Misstrauensvotum hat sich Janukowitsch geweigert zurückzutreten. „Ich werde niemals eine Entscheidung anerkennen, die unter Druck zustande kam“, sagte er am Mittwoch vor Journalisten in Kiew. „Die heutige Entscheidung ist politisch motiviert und illegal. Die Regierung wird weiterarbeiten.“ Er werde Regierungschef bleiben, bis ein neuer Präsident gewählt sei, sagte der Ministerpräsident.

Mehrere Janukowitsch nahe stehende Abgeordnete kritisierten den von der Opposition eingebrachten Misstrauensantrag als verfassungswidrig. Janukowitsch war laut Kutschma aus gesundheitlichen Gründen nicht im Parlament anwesend. Ein erster Misstrauensantrag der Opposition gegen den Regierungschef war am Dienstag gescheitert. Das Oberste Gericht des Landes beriet unterdessen am dritten Tag in Folge über die Forderung der Opposition, die Stichwahl wegen „massiven Wahlbetrugs“ für ungültig zu erklären. Auch Janukowitsch beantragte überraschend beim Obersten Gericht, die Stichwahl zu annullieren, und forderte eine Neuauszählung. Er begründete dies damit, dass insbesondere die Ergebnisse in den Hochburgen der Juschtschenko-Anhänger im Westen des Landes nicht der Realität entsprächen.

Kutschma allerdings sprach sich gegen eine Wiederholung der Stichwahl aus und plädierte für Neuwahlen, deren Vorbereitung länger dauern würde. Noch gebe es Hoffnung auf eine Beilegung der Krise, sagte er.

Internationale Vermittler verhandelten auch gestern zum zweiten Mal mit den Konfliktparteien über einen Ausweg aus der Krise. An den Gesprächen am runden Tisch nahmen der EU-Außenbeauftragte Javier Solana, der Generalsekretär der OSZE Jan Kubis, Polens Präsident Aleksander Kwaśniewski, Litauens Staatschef Valdas Adamkus und der russische Parlamentspräsident Boris Grislow teil.

Bundeskanzler Gerhard Schröder sieht in einer Wahlwiederholung den einzigen Weg zur Lösung der Staatskrise in der Ukraine. Eine politische Lösung müsse gefunden werden, sagte Schröder gestern in Berlin während einer Debatte über die Lage in der Ukraine. „Gewalt darf kein Mittel sein.“ Von außen müsse sich jeder der Einmischung in die ukrainischen Angelegenheiten enthalten. Das gelte auch für Russland.

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