Die verlorene Generation

Die Jugendlichen am nördlichen Rand des Ruhrgebiets sind die Verlierer des negativen Strukturwandels: Die Kluft zwischen Oben und Unten wird auch bei der Bildung immer größer

Von Elmar Kok

Die gestern von der Projekt Ruhr vorgelegt Studie über die Bildungssituation im Ruhrgebiet zeigt ein ernüchterndes Bild. Denn das, was die Forscher der Universität Duisburg-Essen, der Bochumer Uni und des Gelsenkirchener Instituts für Arbeit und Technik vorgelegt haben, bestätigt alle bösen Ahnungen: Schlechter als den Migrantenkindern und den Jugendlichen aus sozial schwachen Familien geht es niemandem im Land. Zumindest nicht, was deren Zugang zu Bildungsangeboten an geht. Dabei steht der Raum des nördlichen Ruhrgebiets mit Gelsenkirchen, Recklinghausen und der Emscher-Lippe-Region an letzter Stelle.

Die Studie „Bildungsbeteiligung im Ruhrgebiet – Auf der Suche nach einer neuen Kompensatorik“ weist nach, dass der nördliche Rand des Ruhrgebiets, auch was die Bildungschancen angeht, eine der strukturschwächsten Regionen im Land ist. In dieser Region liegt auch die Abiturientenanteil im Ruhrgebietsinternen Vergleich bei knapp einem Viertel – das sind zehn Prozent weniger Abschlüsse mit Hochschulreife als beispielsweise in Bochum und Essen. Das Bildungsdefizit fängt schon bei den Kleinsten an: Zwar ist der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz auch im nördlichen Ruhrgebiet rein rechnerisch wahrzunehmen, es mangelt jedoch an Qualität. Zudem hinkt der nördliche Rand des Reviers bei den Krippen- und Hortplätzen hinterher. Hier ist der Norden des Reviers unterversorgt.

Die Studie weist zudem nach, dass sich die Bildungschancen der Migranten auch in der dritten Generation nicht signifikant verbessert haben: Der Anteil jugendlicher ohne Schulabschluss ist bei Migrantenkindern doppelt so hoch, ähnlich ist es bei den Hauptschulabschlüssen. Fach- und -Hochschulreife ist bei diesen Menschen um fast ein fünftel niedriger als bei allen anderen. Hanns-Ludwig Brauser, Geschäftsführer der Projekt Ruhr fordert deshalb frühzeitige Sprachförderung: „Was in die Förderung im Vor- und Grundschulbereich investiert wird, spart später ein Vielfaches.“

Die Untersuchung kommt mit ihren Ergebnissen zu dem Schluß, Mittel für Bildung nicht mehr mit der Gießkanne auszuschütten. Die Generation, an der die jetzt vorgestellten Ergebnisse erforscht wurden, wird als verloren angesehen. Um die Situation für die Nachkommenden zu verbessern, fordern die Autoren, gerade im frühkindlichen und im Grundschulbereich mehr für die Bildung der Benachteiligten zu tun. Denn gerade dort könne eben noch am meisten kompensiert werden. Alle Versuche, die Versäumnisse der letzten Jahre zu korrigieren, sind größtenteils gescheitert, weist die Studie nach. Das weiß auch Christoph Pieper, Sprecher der IHK Nordwestfalen: „Diese Situation zu verändern, wird nicht von heute auf morgen möglich sein.“ Ihn überrascht die Studie nicht: „Nachdem ich erlebt habe, wie hier in der Region 60.000 Arbeitsplätze futsch gegangen sind, wundern mich die Ergebnisse nicht.“ Um der ehemaligen Bergbauregion nachhaltig zu helfen, fordert die Studie selbst an den allgemeinbildenden Schulen zusätzliche, gezielte und bedarfsorientierte Förderungen.