urdrüs wahre kolumne
: Hüter des gelben Sacks

Scherzbolde, Randalierer – diese recht konventionellen Schimpf- und Koseworte findet das Bremen-Magazin in seiner Adventsausgabe für jene Zeitgenossen, die kürzlich am O-Weg diverse Plastikmüllbeutel mit gezielten Tritten zum Platzen brachten. Für die sich dann einschaltende Bullizei aber schwingt sich der Autor zu den Höhen der Gebrauchslyrik auf und nennt sie zum einen noch ortsüblich-sportlich die „Grün-Weißen“, dann aber mit archaischem Pathos „die Hüter des Gelben Sackes“. Seit ich dieses schöne Bild gelesen habe, sind sie mir so recht ans Herz gewachsen.

Und wem das auch so geht und wer deshalb seine Schupos angemessen beschenken möchte, der findet wenige Seiten später im Anzeigenteil „den original Bremer Knüppel vom Patzer Party Service am Markt“: eine Mettwurst, „in einen attraktiven Leinenbeutel gefüllt, der mit den Bremer Insignien bedruckt ist“, ergänzt durch einen „Knüppel aus dem Sack“ im Jutekleid. Na dann – haut rein!

Aus hier nicht weiter zu erörternden Gründen nahm ich dieser Tage an einer Senioren-Weihnachtsfeier in meinem Heimatstädtchen Rinteln teil und schaute vor Beginn im Fernsehraum mit einigen alten Damen auf die Fünf-Uhr-Nachrichten. Kaum erschien Henning Scherf als Friedensstifter der Nation auf dem Bildschirm, juchzten die Mädels entzückt auf und eine schrie gar kichernd: „Der wär’ schon eine Reise nach Bremen wert.“ Weiß man um diese Wirksamkeit im Tourismus-Marketing – und lassen sich gar Audienzen in Verbindung mit Museumsbesuch und Rheumadecken-Verkaufsvorführung in der Güldenkammer organisieren?

Sturmerprobt und erdverwachsen, das sind sie, die Niedersachsen. In ihren Stammlanden bei Verden aber stellen sich rund zwei Dutzend dieser Jungs aus Herzog Widukinds Stamm im Spalier an den Bahnhofsausgang und lassen die Reisenden durch diese Gasse ziehen, dabei in einer Parallel-Performance unter dem Absingen von „Kling Glöckchen, klingelingekling“ gleichzeitig das Wasser ablassend, immerhin im sichtlichen Bemühen, weder Mensch noch Gepäck zu treffen. Advent, wie der Niedersachse es versteht – oder eben „Jungs vom Bund“, wie es sachkundig die Dame neben mir in dieser Gasse humanoider Randexistenzen reflektiert.

Wie schlimm es um schreiberische Kreativität in Bremen bestellt ist, kann man zum einen in geradezu dramatischer Weise der Kinderseite des Weser-Kurier entnehmen, wo die Geschichten vermutlich von Gesellschaftergattinnen beim 5-Uhr-Tee zusammengestoppelt werden, zum anderen aber auch daran merken, dass hierzulande Kurse im kreativen Schreiben ab Januar beim Dt. Roten Kreuz angeboten werden – dort, wo die Katastrofenhilfe zu Hause ist.

Mit Drinks zum Minipreis, kostenloser Atzung vom kalten Buffet direkt in der Küche und Disco von Country und Shanty bis hin zu „Hölle, Hölle“ – so feierten wir am vergangenen Wochenende bis tief in die Nacht hinein in Walle die Rettung des Hafen-Casinos mit Rita, unserer Wirtin wundermild: Trucker, Nutten, Freier, sogar Turnlehrer, Blaumeiersche, Studis, GaDeWisten, selbständige Handwerksmeister und andere LebenskünstlerInnen waren vertreten und durften sich auf die Schulter klopfen, mit ihrem erfolgreichen Einsatz für dieses zivilisatorisch sehr sehr hochstehende Schlichtkneipen-Idyll der Stadt Bremen ein Kleinod erhalten zu haben. Und hätten sich die Planer des urbanen Stumpfsinns auch an diesem neuralgischen Punkt durchgesetzt – glatt hätte die ortsansässige Baumafia mit den Pappnasen aus der Eventkultur hier wieder jede Menge Klimpergeld verjuxen können. Für diesen Sieg in gerechter Sache verleiht sich und allen Mitstreitern die Wilhelm-Kaisen-Medaille höchster Klasse Ulrich

„COUNTRYROADS“ Reineking