schurians runde welten
: Folternde Statistiken

„Ich kann diese Partie auf zwei Punkte reduzieren: Übermut tut selten gut, Hochmut kommt vor dem Fall.“

(Ralf Rangnick)

Der Fußball ist wie eine Seuche – nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die fünf Buchstaben der Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) einfach durch die der Fußballhistoriker und Fußballstatistiker (IFFHS) abgelöst. Immerhin war es ein Mediziner, der vor zwanzig Jahren die internationale Fußballföderation gründete: Alfredo W. Pöge ist Chef des „Exekutiv-Komitees“ der IFFHS, damals lebte er in Leipzig und das hat offenbar abgefärbt. Verstaubt und verzettelt wie angeödete Führungsoffiziere haut Pöges Datenexekutive nun Monat für Monat irre Listen heraus, die auch von den Aktendeckeln der ehemaligen Gauck-Behörde abgeschrieben sein könnten.

So weiß die weltweite Fußballstasi längst, wer „Der Welt erfolgreichster Torschütze unter den Torhütern aller Zeiten“ ist; – natürlich ist es Paraguays Chilavert mit 62 Toren. Sie wissen, welcher „Erst-Liga-Torhüter der Welt aller Zeiten am längsten ohne Gegentor blieb“ – 21 Ligapartien musste Geraldo Pereira de Matos Filho, genannt „Mazarópi“von CR Vasco da Gama in Rio de Janeiro, nicht hinter sich greifen. Bundesdeutsche und DDR-Spieler schneiden dann besonders gut ab in der Liste „Der Welt erfolgreichsten Erst-Liga-Torschützen aller Zeiten unter den defensiven Spielern“. Die Welt-Top 77 beinhaltet allein 18 torgefährliche wie deutsche Eisenfüße. Angeführt vom praktizierenden Antideutschen Ronald Koeman rangiert Paul Breitner auf Rang sechs, Bernard Dietz auf elf, Horst-Dieter Höttges auf 60 und selbst Martin Kree auf 75.

Noch ostalgischer, nein, wissenschaftlich marxistischer, klingen die Verbands-Statuten der chronischen Fußballschnüffler: Demnach bemühe sich IFFHS um eine „chronologische Dokumentation des internationalen Fußballs auf wissenschaftlicher Basis sowie um die authentischen Weltrekorde in allen Belangen des Fußballs“. Weiter heißt es dort, die Föderation führe aufgrund ihrer „universellen Voraussetzungen globale Wahlen und Bestenermittlungen“ durch. Hoch, die Fußballinternationale!

5.12. Dortmund – Schalke

Spielten die Fußballer auf einem Rechentisch, statt auf vom Spätherbst zerfurchten Geläuf, wir könnten uns das Derby im Westfalenstadion glatt sparen. Denn gestern wurde bekannt, das amtierende IFFHS- “Weltclubteam des Monats“ ist der FC Schalke 04 – die Gelsenkirchener wurden unter Trainer Ralf Rang(!)nick nicht nur in der Bundesliga zum Bayernjäger, sie kletterten auch um satte 14 Plätze in der Weltrangliste, stehen nun an Position 27 und nur zwei Plätze hinter Bayern München. Sonntagsgegner Dortmund, einst stolzer Player im Konzert der 14 wichtigsten Fußballvereine, rutschte derweil um 39 Plätze ab und teilt sich den 256. von 350 Plätzen unter anderem mit so Klassikern wie Lokomotive Plovdiv, den Green Buffalos aus Lusaka und dem CSD Municipal aus Guatemala City. Das Derby geht also klar an Schalke 04?

Wohl kaum: Noch vor der vergangenen Europameisterschaft warnte ausgerechnet der oberste Statist Pöge in der Berliner Zeitung vor statistisch begründeten Schnellschlüssen. Wer Europameister werde, nein, das wolle er partout nicht beantworten: „Das sind Spekulationen, und wir können uns an Spekulationen grundsätzlich nicht beteiligen; das geht schon rein statuarisch nicht“, sagte der fußballverrückte Wahl-Wiesbadener. Das Interview schwappte hin und her, Pöge pochte weiter auf die prinzipielle Unberechenbarkeit jedes Fußballspiels – „Sie können da nicht sagen, in der Vergangenheit war es so und so.“ Nur die eine Frage, die blieb uns der Kollege aus Berlin dann leider schuldig: „Wenn man mit ihren Ranglisten nichts aussagen kann, Herr Pöge, warum sie überhaupt erheben?“ Vermutlich hätte das Interview das gleiche, etwas hastige Ende gefunden wie die DDR. CHRISTOPH SCHURIAN