EU übt Konfliktprävention – an sich selbst

Der EU-Gipfel verabschiedet zum Auftakt eine Sicherheitsstrategie, aus der „präemptive“ Militärschläge nach US-Muster gestrichen wurden. Auch für den Verfassungsstreit deutet sich eine Sicherheitsstrategie an: Konfliktpunkte werden verschoben

Aus Brüssel SABINE HERRE

Die erste Sitzung eines der wichtigsten EU-Gipfel verlief für die Staats- und Regierungschefs überaus erfolgreich. Das fand gestern jedenfalls Ratsvorsitzender Silvio Berlusconi, der vier Stunden früher als erwartet und gut gelaunt vor die Presse trat, um die ersten konkreten Ergebnisse zu verkünden. Unter Dach und Fach ist somit nach mehrmonatiger Vorbereitung das Prestigeprojekt der italienischen Ratspräsidentschaft, die so genannte „Wachstumsinitiative“: Bis 2010 sollen rund 60 Milliarden Euro in den Ausbau von Infrastruktur, Forschung und Bildung investiert werden. 60 Prozent der Mittel sollen aus dem Haushalt der EU und seiner Mitgliedsstaaten, 40 Prozent aus der Privatwirtschaft kommen.

Verabschiedet wurde von den 15 Staats- und Regierungschefs auch die erste Sicherheitsstrategie der Union. Sie sei, so der außenpolitische Kopf der EU, Javier Solana, der Fahrplan für die „strategische Rolle Europas in der Welt“. Solanas politischer Planungschef, der Deutsche Christoph Heusgen, verglich die Strategie sogar mit der neuen Sicherheitsdoktrin der US-Regierung.

Diesen Vergleich hören viele EU-Politiker aber nicht gerne. Besonders die Bundesregierung besteht auf einem wichtigen Unterschied, der dann im Vorfeld des Gipfels auch zur Änderung einer Formulierung führte. So wurde das in der ersten Fassung des Papiers enthaltene Ziel des „präemptiven Engagements“ durch das Wort „präventiv“ ersetzt. Auf diese Weise wollte man dem Verdacht begegnen, die EU setze wie die USA bei der Terrorbekämpfung auf Erstschläge wie etwa im Irak. Der Einsatz des Militärs, so Solana, sei stets nur das letzte Mittel.

Auch ansonsten unterscheidet sich das vierzehnseitige Papier „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ deutlich von der US-Strategie. So wird die Globalisierung als eine der Ursachen für „Frustration und Ungerechtigkeit“ gesehen, und die Charta der UNO als “grundlegender Rahmen“ für die internationalen Beziehungen.

Ein weiterer Fortschritt für die Sicherheitspolitik ist die am späten Donnerstagabend gefallene Lösung für ein EU-Gremium, das eigenständige militärische Einsätze der EU in Brüssel planen und leiten soll. Die USA hatten sich lange gegen EU-Militärstrukturen unabhängig von der Nato gewehrt. Die jetzige Zustimmung der Nato zu der neuen „Verteidigungszelle“, wie Berlusconi sie gestern nannte, wurde durch mehrere Kompromisse erreicht. Zum einen wird es einen ständigen Nato-Verbindungsoffizier in dem EU-Gremium geben. Zum zweiten wird im Nato-Hauptquartier im belgischen Mons ein EU-Operationszentrum eingerichtet. Die „Zelle“ wird so klein, dass die Durchführung von EU-Militäraktionen in erster Linie von den nationalen Hauptquartieren der Mitgliedstaaten übernommen werden muss.

Um das Hauptthema des Gipfeltreffens, die Verabschiedung der EU-Verfassung, ging es gestern früh bei einem Minigipfel von Gerhard Schröder, Jacques Chirac und Tony Blair. Was sich die drei bei ihrem einstündigen Frühstück in einem Brüsseler Hotel zu erzählen hatten, wussten die Diplomaten geschickt zu verschweigen. Daher wurde um so wilder spekuliert. Möglich scheint durchaus, dass Großbritannien seine Irakkriegsverbündeten Polen und Spanien zu einem Einlenken bei der strittigen Frage der Stimmgewichtung im Ministerrat bringen soll. Laut Berlusconi gibt es ansonsten nur ein weiteres ungelöstes Verfassungsproblem: die Zahl der Kommissare. Diese zwei Punkte könnte man aber in der ersten Hälfte 2004 lösen und die Verhandlungen über alles andere an diesem Sonntag abschließen.