Praxis trifft Theorie

Eine Tagung der Amadeu Antonio Stiftung suchte nach „Perspektiven der Projektarbeit gegen Antisemitismus“

Den schönsten Spruch gab Doris Akrap von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus zum Besten: Sie berichtete auf der gestrigen Tagung „Perspektiven der Projektarbeit gegen Antisemitismus“ im Centrum Judaicum, wie ihr gegenüber begründet wurde, warum migrantische Jugendliche nicht schuld sein könnten an Schmierereien in Kreuzberg wie „Tod Israel“. „Das sind nicht unsere Jugendlichen“, betonten Doris Akrap zufolge Sozialarbeiter im Kiez, „die können gar nicht schreiben.“

Die Amadeu Antonio Stiftung, engagiert im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus, ist seit einiger Zeit aufgeschreckt über die Judenfeindlichkeit, die ihr in ihrem Hauptarbeitsgebiet, in Ostdeutschland, entgegenschlägt – deshalb lud sie zur Tagung Menschen ein, die sich an der Basis in vielen kleinen Gruppen gegen den Alltags-Antisemitismus engagieren. Praxis traf auf Theorie unter der goldenen Kuppel der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße. Miteinander ins Gespräch kommen wollte man in vier Arbeitsgruppen zu den Themen „Schlussstrichforderungen und Opferdiskurse“, „Antisemitismus und Religion“, „Antisemitismus und der Nahostkonflikt“ sowie „antisemitische Verschwörungstheorien“. Experten wie etwa Lars Rensmann von der FU waren ebenso zugegen wie „Praktikerinnen“ wie Doris Akrap. Und als Stargast geladen war Außenminister Joschka Fischer (Grüne).

Dabei wurde deutlich: Das Problem Antisemitismus nimmt in der Hauptstadt zu: Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zufolge hat es in den ersten neun Monaten dieses Jahres 130 antisemitische Straftaten in der Stadt gegeben. Im gleichen Zeitraum 2003 waren es nur 96. Überwiegend waren es anonyme Schreiben und Schmähbriefe gegen die Israelische Botschaft, den Zentralrat der Juden und die Jüdische Gemeinde.

Was das konkret bedeutet? Doris Akrap berichtete von den Versuchen ihrer Gruppe, einen jüdischen Zeitzeugen der NS-Zeit vor Schulklassen in Kreuzberg auftreten zu lassen. Dies scheiterte wider Erwarten in der letzten Zeit häufiger daran, dass die Lehrer Angst hatten, ihre Schülerinnen und Schüler könnten den betagten Gast mit antisemitischen Ausbrüchen schockieren. Auch habe sie die Erfahrung gemacht, dass mancher Schüler erst nach dem Unterricht zu ihr komme, um zu sagen, was er eigentlich von Juden halte – während des Unterrichts getraue man sich das nicht. Erst nach dem Unterricht hätten auch zwei Lehrerinnen es gewagt, ihre antisemitisch aufgeladenen Ansichten über Israel auszubreiten, erzählte Doris Akrap.

Auf der Tagung wurde deutlich, wie mühsam der Kampf gegen Antisemitismus in der Praxis ist. So berichtete etwa Anne Heese von „Splirtz Brandenburg“, einem Verein der Jugendarbeit im Kreis Königs Wusterhausen, sie kenne einen Jugendlichen, der nicht mehr zu Hause leben wolle, da sein Vater sich neonazistisch und antisemitisch äußere. Generell fehle den Jugendlichen ein „interkultureller Raum“, beklagte die Zeesenerin. Finanziell unterstützt wird ihr nun 13 Jahre alter Verein bis heute nicht. PHILIPP GESSLER