Rein in die fette Jahreszeit

Die Deutschen haben kein Geld mehr, es sich heimelig zu machen. Zwar steigen die Einkommen, doch die gefühlte Armut nimmt zu. Freude am Konsum bereitet nur mehr Mobilität und Kommunikation

VON SASCHA TEGTMEIER

Vor ein paar Wochen haben sich laut einer Umfrage des Stern 40 Prozent der Deutschen vorgenommen, in diesem Jahr weniger Geld für Weihnachtsgeschenke auszugeben. Aber jetzt, wo den Verbrauchern als einziges Tageslicht die weihnachtlichen Konsumlämpchen bleiben, juckt es den Deutschen doch wieder im Geldbeutel.

Es ist wohl die Sehnsucht nach Heimeligkeit in einer rauen Agenda-2010-Realität, die die Menschen an die Ladentische zieht – der Einzelhandel rechnet bereits mit dicken 70 Milliarden Euro Einnahmen beim Weihnachtsgeschäft. Doch der eskapistische Kaufrausch ist bloß ein kurzes Ausbrechen aus der Sparsamkeit. Den Rest des Jahres werden die Deutschen sich beim Shoppen wohl wieder zurückhalten. Der Grund dafür ist weniger die tatsächlich anwachsende Armut als das gefühlte Armsein.

Das zeigt auch eine Studie des Statistischen Bundesamts zu Einkommen und Ausgaben privater Haushalte, die gestern veröffentlicht wurde. Demnach ist das Nettoeinkommen des Durchschnittshaushaltes zwar im vergangenen Jahr im Vergleich zu 1998 um acht Prozent auf 2.770 Euro gestiegen. Der Anteil des Einkommens, der für Konsum ausgegeben wird, ist jedoch um mehr als zwei Prozentpunkte gesunken. Größeres Einkommen, aber weniger Konsumfreude. Das restliche Geld geht laut der Studie für schnöde Nichtkonsumzwecke wie Versicherungsbeiträge drauf.

Außerdem hat sich dem Bundesamt für Statistik zufolge verändert, welche Waren die Deutschen konsumieren. Zwar geben sie immer noch das meiste Geld für ihre Wohnung und die anfallenden Nebenkosten aus. Nur machen es sich die für ihre Gemütlichkeit berüchtigten Deutschen nicht mehr ganz so kuschelig wie noch 1998. Für die Ausstattungen ihrer Wohnung und Haushaltsgeräte geben sie monatlich 15 Prozent weniger aus als noch vor fünf Jahren. Für die neue Spülmaschine und den Hightech-Milchaufschäumer ist eben kein Geld mehr da.

Dieses Abwenden von der Bequemlichkeit setzt sich in der Studie fort. Den Deutschen ist ihre Mobilität wichtiger als zu essen. Beim Durchschnittshaushalt steht im Jahre 2003 an zweiter Stelle der Konsumliste nicht mehr die Ernährung, sondern Ausgaben für Verkehr. Rund ein Sechstel ihres Einkommens geben die Deutschen dafür aus – vor fünf Jahren war das noch erheblich weniger. Das liegt nur zum Teil an den gestiegenen Benzinpreisen. Auch müssen und wollen sich die Deutschen mehr fortbewegen.

Zudem ist es den Konsumenten wichtiger geworden, sich zu informieren und sich mit anderen auszutauschen, wie die Statistiker herausgefunden haben. Telefonieren und Internetsurfen ist zwar in den vergangenen Jahren um ein Drittel billiger geworden, trotzdem geben die Deutschen sogar ein Drittel mehr Geld für Kommunikation aus.

Dafür gehen sie weniger in Kneipen und Restaurants – wohl auch als Reaktion auf die enorm gestiegenen Preise der Gaststätten. Und sogar bei Kleidung und Schuhen sparen die zögerlichen Shopper neuerdings: die Ausgaben dafür sind von 5,5 Prozent des Einkommens auf 5,0 gesunken.

Trotz aller Sparmaßnahmen – fürs Konto bleibt trotzdem kaum noch Geld übrig – zumindest bei den „jungen“ Haushalten. Die bis zu 25-Jährigen bringen nur vier Prozent ihres Einkommens auf die Bank. Nur die 25- bis 55-Jährigen halten noch die Tugend des Sparens aufrecht. Durchschnittlich legen sie 15 Prozent ihres Einkommens auf die hohe Kante. „Alte“, das sind für das Bundesamt die über 80-Jährigen, müssen anstatt zu sparen ihr Geld vor allem für Wohnen und Gesundheit ausgeben. Von diesem Konsum haben jedoch die Einzelhändler nichts, die auf ihr Weihnachtsgeschäft hoffen. Ernüchternd dürfte für sie daher der Blick auf die zukünftige Alterspyramide sein.

Bisher lässt das nahende Weihnachtsfest diese Sorgen vergessen – noch gibt es die jungen Konsumenten, die sich von der schillernden Beleuchtung von ihrer Zurückhaltung beim Shoppen ablenken lassen.

Geradezu eine Welle der Dekadenz scheint die warmen Stuben der Nation in diesem Jahr zu erreichen. Denn, wie Tannenverkäufer über Nachrichtenagenturen bekannt gegeben haben, geht der Trend zum Zweitweihnachtsbaum. Die Deutschen flüchten in dieser Jahreszeit in eine Heimeligkeit, die sie sich nicht mehr leisten können. Am 1. Januar dürften viele von ihnen wieder aus der Idylle erwachen, denn dann werden die Arbeitslosengeld-II-Bescheide versandt. Und die hübschen Lämpchen verschwinden dann auch aus den Fußgängerzonen – wenn die fette Jahreszeit vorbei ist.