„Das deutsche Gesundheitssystem ist gut“, sagt Uwe Reinhardt

Die Kopfpauschale der CDU soll mehr Effektivität und Wettbewerb bringen – doch sie wird das Gegenteil bewirken

taz: Herr Reinhardt, Sie befassen sich in den USA mit Gesundheitssystemen. Haben Sie begriffen, was für eine Kopfpauschale die CDU will?

Uwe Reinhardt: Nein. Auch in Deutschland scheinen ja nur wenige nachvollziehen zu können, um was es geht. Die Ziele dieser Reform mögen mehr Transparenz der Finanzierung, mehr Wettbewerb und eine höhere Effizienz sein – aber faktisch scheint mir die Kopfpauschale, wie sie in Deutschland jetzt diskutiert wird, eine Strategie zu sein, die die Gutverdiener entlastet und die unteren Mittelschichten belastet. Also genau das, was leider auch hier in den USA passiert. Nur die Allerärmsten bekämen ihre Gesundheitsversorgung dann vom Staat bezahlt. Ich finde, wer für die Kopfpauschale ist, sollte diesen Umverteilungseffekt ehrlich zugeben.

Die Kopfpauschalen-Befürworter – auch die SPD-nahen – wollen einen transparenten Preiswettbewerb über die Prämie. Funktioniert das?

„Wettbewerb über Prämien“, das klingt für einen Volkswirt himmlisch. Aber hinter dem Wort Prämie einer Krankenkasse kann sich allerhand verstecken. Zum Beispiel eine Risikoauslese – also Rosinenpickerei unter den Versicherten. Oder ein variabler Leistungskatalog. Oder die Selbstbeteiligung der Patienten. Oder eine effektivere Krankenkassenverwaltung. Oder die Frage, wie günstig oder teuer die Krankenkasse für ihre Versicherten Gesundheitsleistungen bei Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken kauft.

Und worum geht es?

Das ist eben unklar. Die Befürworter der Kopfpauschale sagen nicht, welchen dieser Hebel sie umlegen wollen. Wollen sie Ärzte und Krankenhäuser tatsächlich in einen preiswettbewerblichen Existenzkampf zwingen? Die Union hat die Ärzte bislang stets vor allen Zumutungen geschützt – soll das mit dem Kopfpauschalenkonzept wirklich anders werden? Glaubt das jemand?

Was wäre denn gegen mehr Wettbewerb einzuwenden?

Ich glaube gar nicht, dass die Union einen echten Preiswettbewerb unter den Ärzten und Kliniken herstellt. Das hat man in den USA auch längst versucht, um so Kosten zu senken. Die Folge ist, dass es nun gigantische Klinikketten gibt, die die Preise diktieren können. Die Ärzte schließen sich zusammen, um Marktkraft zu bekommen. Am Ende haben Sie dann Monopolstrukturen – wie sie in Deutschland mit den Kassenärztlichen Vereinigungen jetzt schon bestehen. Sie landen also da, wo Sie herkommen. Das Ergebnis des angeblich kostensenkenden Wettbewerbs in den USA ist, dass hier die Prämien um 10 bis 20 Prozent pro Jahr steigen und die Gesundheitsausgaben pro Kopf rund 75 Prozent höher sind als in Deutschland – obwohl die Deutschen viel älter sind. Wollen die Deutschen das wirklich nachmachen? Da kann ich nur „Welcome to the Club“ sagen.

Das ganze Wettbewerbsargument taugt also nichts?

Richtigen Preiswettbewerb im Gesundheitswesen gibt es fast nur in der datenfreien Theorie, in der viele Akademiker sich so wohl fühlen. Mein Rat wäre, dass Deutschland erst mal versucht, Qualitätswettbewerb in das Gesundheitssystem zu bringen. Das ist etwas ganz anderes als Preiswettbewerb. Und es würde von den Politikern den Mut erfordern, Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern die nötige Transparenz abzuverlangen, um Qualität beurteilen zu können. Dafür braucht man Daten: etwa darüber, welche Ärzte welche Krankheit am besten heilen – und bei wem Patienten besonders häufig sterben.

Die Kopfpauschalen-Fans wollen aber gar nicht primär die Qualität der Versorgung verbessern. Sie zielen darauf, die Gesundheits- von den Lohnkosten abzukoppeln: Die Kopfpauschalen, sagen sie, nehmen den Druck aus den Lohnkosten.

Als Volkswirtschaftler habe ich schon seit Jahren vorgeschlagen, die Kosten der Gesundheitsversorgung von den Bilanzen der Arbeitgeber abzukoppeln. Hier muss ich aber hinzufügen, dass wir annehmen, dass die von den Arbeitgebern bezahlten Sozialleistungen sowieso zumeist aus den Lohntüten der Arbeitnehmer finanziert werden. Also könnte man das vermeintliche Problem der Arbeitgeber nicht nur durch eine Kopfpauschale lösen, sondern einfach den ganzen Kassenbeitrag aufrichtig auf das Konto des Arbeitnehmers schieben – der, so meinen wir Volkswirte, diesen Beitrag ja so oder so schon bezahlt. Wenn sich die Gewerkschaften gegen diese ehrliche Rechnung wehren – nun, dann werden sie wohl irgendwann die Kopfpauschale akzeptieren müssen.

Soll Deutschland sein Gesundheitswesen dann einfach lassen wie es ist?

Die Deutschen sollten sich erst einmal bewusst sein, dass sie ein ziemlich gutes System haben. Eure Krise ist nicht so tief. Man sollte auf dieser guten Basis anfangen, einen ordentlichen Qualitätswettbewerb einzuführen. Damit wäre allen geholfen. Kopfpauschalen sind dazu nicht nötig. Da kann man vielleicht später drüber reden, aber nur wenn man dazu sagt, dass es dabei um eine Umverteilung von unten nach oben geht.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN